Benutzung von „ehemaligen Mitgliedern“ oder „Aussteigern“ in der Berichterstattung

Mit Hilfe von Gerüchten und Vermutungen, bestätigt durch vermeintliche „Augenzeugen“ oder „ehemalige Mitglieder“, wurden aufstrebende Individuen und Bewegungen seit Jahrtausenden bekämpft und oftmals vernichtet. Etablierte Gruppen verteidigen ihre Positionen und Privilegien gern mit dem Instrument des kunstvoll verschleierten Rufmords.

Angebliche „Augenzeugen“ sind für diese Taktik unerlässlich. Auf diese Weise entstand in den 1970er Jahren ein Markt für „Ex-Mitglieder“ oder „Aussteiger“ aus neu-religiösen Gruppen, der von den Weltanschauungsbeauftragten der Amtskirchen geschaffen, herangezüchtet und gepflegt wurde. Je unbekannter die Gruppe, umso obskurer die Vorwürfe und Behauptungen. Das professionelle „Ex-Mitglied“ einer religiösen Minderheit hat in Deutschland auch heute noch ein aufregendes Leben vor sich. Gepflegt und aufgebaut von religiös-weltanschaulichen Gegnern, begehrt von Journalisten, Fernsehstationen und aufstrebenden Politikern ohne Thema, werden sie belohnt, geliebt, beschützt und nicht selten gut bezahlt. Wer schnell und gefahrlos Karriere machen möchte, der wird heutzutage „Ex-Mitglied“ oder Sekten-Gegner.

Auszug aus einem Beitrag im Deutschlandradio Kultur vom 27. Juli 2009. Frage der Journalistin Ulrike Timm: „… man muss kein Freund von Scientology sein, um zu vermuten, dass da persönliche Rechnungen offen waren und heftigst nachgetreten wird. Sind beide [ehemalige Scientologen] vollkommen glaubwürdig?“

Die erwartungsgemäße Antwort von Ursula Caberta, Leiterin der Hamburger AGS und Scientology-Gegnerin seit den frühen 1990er Jahren: „Natürlich sind sie glaubwürdig, alle Aussteiger aus Scientology sind glaubwürdig, … Die sind glaubwürdig, die sind absolut glaubwürdig, wie alle Aussteiger mit ihrer Geschichte, die sie in Scientology erlebt haben, immer glaubwürdig waren.“

Hier einige ausgewählte Beispiele, die Ursula Caberta persönlich kennengelernt hat.

Jüngste Schlappe der streitbaren AGS-Leiterin aus Hamburg ist ihre Präsentation des Ex-Mitglieds Lino Bombonato in Günther Jauchs stern TV am 17. Februar 2010. Der junge Mann mit dem sympathisch weichen Gesicht schöpft aus dem Vollen. Schon mit 15 Jahren sei er zu Scientology gekommen, 7 Jahre sei er Mitglied gewesen, habe Geld „besorgen“ müssen und 10.000 Euro an Scientology gezahlt. Um schnell eine Ausbildung in den USA antreten zu können, habe er sich von seinen Eltern zu trennen, verlangte die Kirche. Lino entschied sich für den Selbstmord, der glücklicherweise misslang. Das Publikum ist erschüttert. In der Scientology Kirche Berlin gehen noch am gleichen Abend über 25 beleidigende E-Mails und Gewaltandrohungen ein. Die Fakten des Falles zeigen jedoch ein völlig anderes Bild. Ja, Lino Bombonato war Mitglied, aber er kam erst mit etwa 19 Jahren zu Scientology und war zusammengenommen etwa 2 Jahre Mitglied. Er zahlte während dieser gesamten Zeit rund 300 Euro für zwei Einführungskurse und Materialien ein. Es war Lino gesagt worden, die Kontakte zu seinen Eltern besser zu pflegen, von einer Trennung war nie die Rede. Nach einer Ausbildung in den USA hatte sich Lino zwar in der Kirche erkundigt, man hatte ihm aber bescheinigt, dass er dafür gar nicht qualifiziert. Der angebliche „Selbstmordversuch“ war in Wirklichkeit eine durchzechte Nacht im Zusammenspiel mit Schmerztabletten während des Karnevals als Lino 18 war und die mit einem Krankenhausaufenthalt endete. Der stern hat mittlerweile eine Unterlassungserklärung abgegeben und sämtliche Einträge zu diesem Fall auf ihren Internet-Seiten gelöscht.

Noch desaströser war Ursula Cabertas Zögling Christian Markert. Der Kleinkriminelle und Hochstapler Markert hatte sich kurz nach der Eröffnung der Scientology Kirche Berlin im Jahr 2007 für drei Monate in die Scientology Kirche in Buffalo, USA, eingeschleust. Schon im Juni 2007 trat er dann erstmals gemeinsam mit Caberta in Berlin vor die Medien. In den USA war er drei Monate lang für den Verkauf religiöser Literatur an Mitglieder verantwortlich gewesen. Gegenüber den Medien wurden daraus jedoch 7, 10 und schließlich 15 Jahre angeblicher Scientology-Zugehörigkeit in den allerhöchsten Kreisen, versteht sich. Markert verstieg sich zu der Behauptung, er sei für die oberste Kirchenleitung in den USA tätig gewesen und hätte an geheimsten Strategien mitgewirkt. Die Recherchen eines Journalisten aus Baden-Württemberg enthüllten jedoch, dass Caberta einem Hochstapler aufgesessen war. Es stellte sich heraus, dass Christian Markert eine lange Historie unterschiedlichster Betrügereien in den USA, Irland, Frankreich und Deutschland vorweisen konnte. (Anlage)

Ein ähnliches Beispiel ist Wilfried Handl, der angebliche Top-Aussteiger Europas, der vor 30 Jahren rund 7 Monate die damals kleine Scientology Kirche in Wien geleitet hatte. Er behauptet, Scientology hätte ihm die Familie genommen, tatsächlich scheiterte die Ehe aus den klassischen Gründen der Untreue.Doch die Geschichte fingierter „Aussteiger“ ist so lang wie die Scientology-Debatte selbst. Dennoch sei hier auch eingeräumt, dass es zweifellos auch Fehler im Umgang mit Scientology-Mitgliedern gab und nie völlig auszuschließen sind. Die Kirche ist stets an einer Verbesserung ihrer kirchlichen Dienste interessiert und daher Kritik gegenüber aufgeschlossen, vorausgesetzt, diese kann konkret formuliert werden.

Schon in den 1970er Jahren war man aufgrund des Mangels tatsächlicher „Aussteiger“ dazu übergegangen, vollkommen frei erfundene Horrorgeschichten über die angeblichen Erfahrungen in neu-religiösen Gemeinschaften zu vermarkten. Das Landgericht München stellte im Jahre 1977 fest, dass der damals bekannte „Sekten“-Pfarrer Friedrich-Wilhelm Haack „Opfergeschichten“ frei erfand, um seiner Botschaft gegen neue religiöse Bewegungen „mehr Nachdruck“ zu verleihen. Sein Nachfolger wurde der Berliner Weltanschauungsbeauftragte Pfarrer Thomas Gandow.

Frau Ursula Rieken war ganze vier Tage „Mitglied“ der Scientology Kirche in Hamburg gewesen, um danach über zwei Jahre gegen Scientology aufzutreten. Tatsächlich war Ursula Rieken am 17.6.1988 in die Scientology Kirche ein- und am 21.6.1988 wieder ausgetreten. Nach dem Bekanntwerden dieser Fakten verebbte die Medienflut, eine Korrektur ihrer Geschichte fand nie statt.

Ein besonders schillerndes Beispiel war der Fall der „Anita Stutz“: Vor dem bereits aufgepeitschten Publikum einer Veranstaltung erzählte sie Anfang der 1990er Jahre mit zitternder Stimme und scheinbar unter Tränen ihre bestürzende „Opfer“-Geschichte. Ihre 13jährige Tochter bestätigte die Ausführungen. Die Menge ist entsetzt, Frau Stutz verlässt, von Helfern gestützt, das Mikrophon. Diese Geschichte schockiert nicht nur Hunderte von Veranstaltungsteilnehmern, sondern auch Millionen von Fernsehzuschauern. Nur, Frau Anita Stutz war niemals Mitglied in Scientology. Vor Gericht stellt sich heraus, dass es sich bei der Geschichte der Frau Stutz um eine freie Erfindung handelt. Daher urteilte das Landgericht Ravensburg (Aktenzeichen: 4 O 194/92) am 27.02.1992 wie folgt:

„Der Verfügungsbeklagten (Anm.: Frau Anita Stutz) wird es verboten, a) zu behaupten, ihr geschiedener Mann – sei an der Scientology Kirche zerbrochen und/oder ihre Kinder hätten dies erlebt; b) zu behaupten, es bestehe ein Zusammenhang zwischen der Verfügungsklägerin (Anm.: die Scientology Kirche Deutschland) und – zwei Mordanschlägen auf [Anita Stutz] und/oder – Schulden der [Anita Stutz] in Höhe von DM 300.000,- und/oder – einem Prozeß gegen [Anita Stutz] als Heiratsschwindlerin, in den ein Polizist verwickelt sei. Für jeden Fall der Zuwiderhandlung wird [Anita Stutz] – ein Ordnungsgeld bis zu DM 500.000, im Uneinbringlichkeitsfalle Ordnungshaft, oder sogleich Ordnungshaft bis zu 6 Monaten angedroht.“

Eine noch schockierende Geschichte präsentierte das angebliche Ex-Mitglied Anita Sautter (auch als Anita Kretschmar bekannt). Bereits in einer Justizvollzugsanstalt einsitzend konstruierte die als pathologische Hochstaplerin gerichtsbekannte Anita Sautter ihre angebliche Scientology-Mitgliedschaft. Schließlich erklärt sie den Behörden, dass sie als „Geheimagentin“ der Scientologen den Auftrag gehabt habe, die Scientology-Gegnerin Renate Hartwig mittels einer Autobombe zu beseitigen.

Obwohl sich die frei erfundene Agenten-Geschichte Sautters relativ schnell als Hirngespinst entpuppte, vermarktete Renate Hartwig die Story ohne Skrupel in einem Anti-Scientology-Buch. Tatsächlich hatte Anita Sautter zu keinem Zeitpunkt irgendetwas mit der Scientology Kirche zu tun. Im Juli 1996 wurden dem Verlag und der Autorin verboten, die Geschichte weiterhin zu veröffentlichen. Darüber hinaus wurden Verlag und Autorin gesamtschuldnerisch zu rund 15.000 EUR Schmerzensgeld verurteilt, weil sie einen Anwalt der Scientology Kirche mit dem frei erfundenen Mordkomplott in Zusammenhang gebracht hatten. Eine Richtigstellung der Geschichte durch die Medien fand auch in diesem Fall kaum statt.

Hier ein weiteres Beispiel im engen Zusammenhang mit Ursula Caberta: Im Jahre 1992 wurde die Kriminalpolizei in Hamburg aktiv, um die haarsträubenden Vorwürfe Ursula Cabertas gegen die Scientology Kirche zu untersuchen. Drei Jahre intensivster Ermittlungen und alle Bemühungen, bei den damals bekanntesten Scientology-Gegnern und Betreuern der angeblichen „Opfer“ fündig zu werden, endeten im Nichts. Keiner der Befragten konnte vor dem Staatsanwalt konkrete Angaben machen oder die ursprünglichen pauschalen Vorwürfe belegen. Das gesamte Lügengebäude brach im Juni 1994 zusammen, als das wohl umfassendste Ermittlungsverfahren gegen die Scientology Kirche sang- und klanglos eingestellt wurde.

Die ausführliche Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Hamburg vom 17. Juni 1994 stellt z. B. fest: „Die Zeugin Hartwig, die sich als Vorsitzende des Vereins Robin Direkt e.V. seit 1989 mit der Thematik Scientology und mit der Aussteigerproblematik befaßt, hat auf die Zeugin [Jeanette] Leyendecker-Schweitzer als konkretes Beispiel für den Druck hingewiesen, den die Scientology-Organisation auf Aussteiger ausübe. Weitere konkrete Beispiele benannte sie bei ihrer Vernehmung nicht.“ Die einzige genannte Zeugin – Jeanette Schweitzer, die auch heute noch gern vor den Medien mit ihren Horrorgeschichten auftritt – konnte aber ebenfalls keine strafrechtlich relevanten Angaben machen.

Und: „Über der Scientology-Organisation zurechenbare Straftaten gegen den ehemaligen Scientologen Potthoff – ist ebenfalls nichts bekannt geworden.“

Norbert Potthoff, der in den 1980er Jahren 6 Monate in einer kleinen Scientology-Mission in Düsseldorf Teilzeitmitarbeiter war, diente sich mit immer neuen abenteuerlichen Geschichten und -theorien als „Top-Manager“, „hochrangiger Insider“ und „Direktor für Öffentlichkeitsarbeit“ Behörden an.

Statt zu akzeptieren, dass die sogenannten Zeugen keine Straftatbestände aufzeigen konnten, wurde schließlich die Schutzbehauptung aufgestellt, sie hätten „Angst auszusagen“. Auch diese Behauptung ist nur eine weitere Lüge, wie unter anderem aus einer Antwort des Hamburger Senats aus dem Jahr 1992 auf eine entsprechende Anfrage hervorgeht:

„Die Frage, ob Zeugenschutz gewährt werden könne, bejahten die Senatsvertreter mit ‚wenn es Zeugen gäbe‘.“

Beispiele für aufgebauschte und erfundene Horrorgeschichten hingegen gibt es viele, nicht wenige davon auch gerichtlich dokumentiert.

Auch dem angeblichen Ex-Scientologen und „Insider“ Garry Scarff und seinen Kollegen standen „vor Lachen die Tränen in den Augen“, wie er freimütig vor Gericht bekannte, nachdem er sich vorher der staunenden Menge als „letzter Überlebender von Guyana“ offeriert hatte. Die frei erfundene Geschichte Scarffs zu Scientology fand kürzlich erneut Eingang in das Werk des Scientology-Gegners Frank Nordhausens aus dem Jahre 2008.

„Aussteiger“ finden bei Verfassungsschützern, bestimmten Regierungsstellen und Gremien immer ein offenes Ohr, ganz egal, welchen baren Unsinn sie auch von sich geben. Und ganz egal, was die betroffene Gemeinschaft dazu sagt (falls sie überhaupt etwas dazu sagen darf).

Hauptsache, die Anschuldigung steht im Raum.

Einem weiteren Trick, dem man sich gern bedient, wie die ehemalige Scientologin Vicky Aznaran 1994 in einer eidesstattlichen Erklärung ausführt, ist, dass man Behauptungen aufstellt, deren Wahrheitsgehalt schlicht nicht zu beweisen ist. Man bedient sich dabei eines tatsächlichen oder frei erfundenen tragischen Vorfalls und „behauptet einfach“, die Scientologen seien es gewesen. Die Katze ist gestorben – die Scientologen haben sie getötet. Das Telefon klingelt in der Nacht, das sind die Drohanrufe … es gibt buchstäblich Millionen von Varianten. Es steht meist Aussage gegen Aussage, aber weil der Ruf der Minderheit beschädigt ist, haben Diffamierer in der Regel leichtes Spiel.

Prof. Bryan Ronald Wilson, Professor Emeritus für Soziologie an der Universität von Oxford und einer der anerkanntesten Religionswissenschaftler der Welt, hat den Mythos sogenannter „Insider-Informationen“ ehemaliger Religionsmitglieder mit wissenschaftlicher Gründlichkeit untersucht und analysiert:

„Es ist nicht unüblich, dass der Abtrünnige eine ‚Schauergeschichte‘ einstudiert, um zu erklären, wie er mittels Manipulation, Tricks, Zwang oder Täuschung dazu verführt wurde, sich einer Organisation anzuschließen oder ihr treu zu bleiben, welcher er jetzt abschwört und die er verdammt. Abtrünnige, von der Presse zur Sensation hochstilisiert, haben manchmal versucht, durch den Verkauf ihrer Erfahrungsberichte an Zeitungen oder durch das Produzieren von Büchern daraus Kapital zu schlagen.“

Die Verunglimpfung neuer Ideen und neuer Bewegungen hat eine lange Tradition. Die Verwendung von künstlich geschaffenen, frei erfundenen oder bezahlten „Augenzeugen“ ebenfalls.

Nach mehr als 35 Jahren eingehender Untersuchungen durch Behörden, Staatsanwaltschaften und den Verfassungsschutz kam die Konferenz der Innenminister und –Senatoren der Länder im November 2008 zu dem Ergebnis, dass es nicht mal einen Anhaltspunkt für strafrechtlich relevantes oder verfassungswidriges Verhalten bei den Scientologen und den Scientology Kirchen in Deutschland gäbe.

Nachdem über Jahrzehnte hinweg mit Hilfe der oben genannten falschen „Zeugen“ ein massives Feindbild aufgebaut worden war, nachdem nahezu jeder Journalist Deutschlands davon überzeugt worden war, dass die Beweise gegen diese neue Gemeinschaft erdrückend und eindeutig seien, stand man im November 2008 plötzlich vor dem Scherbenhaufen dieses Lügengebäudes. Keine der vollmundigen Behauptungen von Ursula Caberta und den kirchlichen Weltanschauungsbeauftragten hatten einer faktischen Überprüfung standgehalten.

Was man aufrecht erhält ist der schale Geschmack des bleibenden Verdachts und die gebetsmühlenartig wiederholte Beteuerung Ursula Cabertas: „Die sind glaubwürdig, die sind absolut glaubwürdig, wie alle Aussteiger mit ihrer Geschichte, die sie in Scientology erlebt haben, immer glaubwürdig waren.“