Kategorie Archiv: Gerichtsurteile

Fragebogen zur Scientology Mitgliedschaft hat keine Rechtsgrundlage

ANERKENNTNIS-URTEIL:

ARBEITSGERICHT VERBANNT VERFASSUNGSSCHUTZ-SCHNÜFFELPRAXIS AUS BAYERISCHEN AMTSSTUBEN

FRAGEBOGEN ZUR SCIENTOLOGY-MITGLIEDSCHAFT HAT KEINE RECHTSGRUNDLAGE

(MÜNCHEN) Bereits zum zweiten Mal innerhalb eines halben Jahres urteilte das Arbeitsgericht München gegen die Verwendung von Scientology-Fragebögen im Öffentlichen Dienst. Nun erging ein Anerkenntnisurteil. Überraschend lenkte die Staatsregierung ein: Der 1996 in Becksteins Innenministerium entwickelte Fragebogen zu einer Scientology-Mitgliedschaft verletzt die Privatsphäre und hat keinerlei Rechtsgrundlage. Er wurde deshalb zurückgezogen.

Bei der ersten inzwischen rechtskräftigen Arbeitsgerichtsentscheidung ( Gz. 21 Ca 13754/99 ) im Oktober ging es um einen seit 1990 bei der Landeshauptstadt München beschäftigten Angestellten. Obwohl es keinerlei Beanstandungen gab, sollte der Betroffene anhand des Fragebogens detailliert über seine Scientology-Mitgliedschaft Auskunft geben. Er weigerte sich und klagte erfolgreich vor dem Arbeitsgericht. Michael Ziegler, Sprecher des bayerischen Innenministeriums, verkannte damals noch die Rechtslage. Er kommentierte nämlich das Urteil als „nicht mehr als eine Einzelfallentscheidung“ und rechtfertigte den weiteren Einsatz von Becksteins diskriminierendem Fragebogen.

Auch einem zweiten seit 1992 bei einer Einrichtung des Freistaats Bayern angestellten Betroffenen wurde der Fragebogen von seinem Arbeitgeber vorgelegt. Obwohl es keinerlei Beanstandungen gab, wurde auch in diesem Fall der Angestellte vom Verfassungsschutz beim Arbeitgeber grundlos als Scientology-Mitglied angeschwärzt, um ihn mittels Fragebogen weiter auszuspähen. Der Betroffene verweigerte die geforderten Auskünfte zu seinem religiösen Bekenntnis und klagte beim Arbeitsgericht München gegen den Freistaat Bayern wegen Verletzung seiner Privatsphäre. In der jetzt vorliegendenden Entscheidung ( Gz. 23 Ca 1178/00 ) bestätigte das Arbeitsgericht die Rechtswidrigkeit des Fragenbogens und erteilte  der damit verbundenen Schnüffelpraxis eine eindeutige Abfuhr. Mit Zustimmung des Rechtsvertreters der Bezirksfinanzdirektion erging ein Anerkenntnisurteil, wonach der Kläger „nicht dazu verpflichtet ist, den `Fragebogen zu Beziehungen zur Scientology-Organisation` … auszufüllen, zu unterzeichnen und an die Beklagte zurückzugeben.“

Urteil des Sozialgerichts Nürnberg

– SCIENTOLOGY KIRCHE BAYERN E.V. SETZT SICH GEGEN ARBEITSAMT DURCH –

– KEINE ARBEITSVERHÄLTNISSE IM SINNE DES SCHWERBEHINDERTENGESETZES –

(NÜRNBERG/MÜNCHEN) Eine jahrelange Auseinandersetzung zwischen der Bundesanstalt für Arbeit (vertreten durch den Präsidenten des Landesarbeitsamtes Bayern in München) und Scientology Kirche Bayern e.V. wurde nach einem jetzt vorliegenden Urteil (Az S 13 AL 57/97) des Sozialgerichts Nürnberg zugunsten der Scientologen entschieden.

Entgegen ihrer früheren Auffassung erließ die Behörde 1994 und 1996 Bescheide, wonach die Vereinigung im sozialrechtlichen Sinne dem Schwerbehindertengesetz unterliege, da ihre hauptamtlich tätigen Mitglieder als Arbeitnehmer anzusehen wären. Dagegen erhob der Scientology-Verein Klage vor dem Sozialgericht Nürnberg, da die hauptamtlichen Vereinsmitglieder religiöse Ziele und nicht einen wirtschaftlichen Erwerbszweck dienen.

In den Entscheidungsgründen stellte die 13. Kammer des Sozialgerichts fest: „Zudem findet auf den vorliegenden Fall nach Überzeugung des erkennenden Gerichts auch Paragraph 7, Absatz 2 Nr. 2 Schwerbehindertengesetz Anwendung, der bestimmt, daß als Arbeitsplätze nicht die Stellen gelten, auf denen Personen, deren Beschäftigung nicht in erster Linie ihrem  Erwerb dient, sondern vorwiegend durch Beweggründe caritativer oder religiöser Art bestimmt sind beschäftigt werden. … Die Aufnahme in die Scientology Kirche Bayern e.V. erfolgt nur, wenn entsprechende religiöse Ideen dieser Kirche bejaht werden.“

Von einem Wirtschaftsunternehmen und von Arbeitsplätzen könne nur ausgegangen werden, „wenn nachweisbar wäre, daß der Beweggrund der einzelnen Mitglieder nicht vorwiegend caritativer und religiöser Art wäre. Dazu wurde jedoch nichts vorgetragen,“ heißt es in der Urteilsbegründung an die Adresse die Arbeitsamtes. Die Behördenbescheide wurden vom Sozialgericht aufgehoben.

Verwaltungsgericht Stuttgart: Scientology verfolgt keine wirtschaftlichen Ziele

URTEIL DES VERWALTUNGSGERICHTS STUTTGART WIDERLEGT THEORIEN VON
VERFASSUNGSCHUTZPRÄSIDENT RANNACHER NACHHALTIG

(STUTTGART) Der Scientology-Verein „Dianetic Stuttgart e.V.“ ist nicht wirtschaftlich tätig und behält daher seinen Vereinsstatus. Damit setzten sich die Scientologen gegen das Land durch. Dies geht aus einem Urteil (Az.: 16 K 3182/98) der 16. Kammer des Verwaltungsgerichts Stuttgart hervor, das jetzt vorliegt. Nach Ansicht der Stuttgarter Scientologen „widerlegt die Urteilsbegründung die Theorien von Verfassungschutzpräsident Helmuth Rannacher nachhaltig“. Rannacher hatte Scientology kürzlich wirtschaftliche Aktivitäten zugeschrieben.  Diese wurden von der Organisation postwendend als abwegig zurückgewiesen und als „öffentlicher Offenbarungseid des Verfassungsschutzpräsidenten, dass die dreijährige Beobachtung eine gigantische Steuergeldverschwendung
war“.

In dem 16 Seiten umfassenden Urteil der Stuttgarter Verwaltungsrichter heißt es in den Entscheidungsgründen:

“ Das Gericht ist aufgrund der Sachvorträge der Beteiligten, des umfangreichen Aktenin- halts und der Zeugenaussage zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger keinen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb in Sinne der dargestellten Rechtsprechung, der das Gericht folgt, unterhält.

Aufgrund der im Verfahren gewonnenen Erkenntnisse geht das Gericht davon aus, dass die vom Kläger seinen Mitgliedern angebotenen entgeltlichen Leistungen – Auditing, Seminare, Kurse – zur Erlangung einer „höheren Daseinsstufe“ von gemeinsamen Über- zeugungen der Mitglieder getragen sind, von denen sie nicht gelöst werden können, ohne ihren Wert für den Empfänger zu verlieren.

Nach dem Vortrag des Klägers dient das Auditing, das „geistliche Beratung“ bzw.  „individuelle Seelsorge“ bieten soll, und die Teilnahme an einführenden Kursen und Seminaren der Erlangung höherer Daseinsstufen im spirituellen Sinne von Scientology. Die Mitglieder müssen eine Folge aufeinander aufbauender Erlösungs- und Bewusstseinsstufen erreichen (= die Brücke), um über die Zwischenstufe Clear die vollkommene Freiheit bzw. die vollkommene Erlösung, die Stufe „Operating Thetan“, zu erreichen. Aufgrund der substantiierten Ausführungen des Klägers in seinen Schriftsätzen und den Aussagen des Vereinsvorsitzenden im Termin zur mündlichen Verhandlung ist das Gericht der Überzeugung, dass die Mitglieder des Klägers sich auditieren lassen, Kurse und Seminare besuchen, um auf dem durch L. Ron Hubbard aufgezeigten Weg die „Erlösung“ anzustreben.

Der Beklagte vermochte mit seinem Vorbringen nicht das Gegenteil zu beweisen. So stellte er letztlich nicht in Abrede, dass die Mitglieder des Klägers tatsächlich Leistungen in Anspruch nehmen, die von gemeinsamen Überzeugungen getragen sind.“

Auch der vom Regierungspräsidium aufgebotete Zeuge (Martin O.), der sich als Ex-Scientologe bezeichnete, wurde offensichtlich vom Gericht „durchschaut“:

„An der Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage bestehen bereits ernstliche Zweifel. Diese beruhen darauf, dass der Zeuge nicht einmal widerspruchsfrei vortragen konnte, ob er noch Mitglied einer Scientology-Organisation ist, oder nicht. … Es ist für das Gericht nicht nachvollziehbar, weshalb der Zeuge nach wie vor Mitglied in Scientology-Vereinen – auch beim Kläger – ist, obwohl er sich als „Ex-Scientologe“ bezeichnet; insbesondere ist unklar geblieben, weshalb er 1989 erklärt hat, dass sein Weg außerhalb von Scientology liege, er jedoch in späteren Jahren für Scientology in USA gearbeitet hat und Mitglied „für eine Milliarde von Jahren“ in einer Scientology- Organisation geworden ist. … Zudem hat der Zeuge erklärt, dass er ein Interesse am Ausgang des Verfahrens habe. … Diese Ausführungen zeugen von einer gewissen Parteilichkeit, die die Glaubwürdigkeit des Zeugen in Frage stellen. … Den Mitgliedern werde ab einer bestimmten Stufe die Reinkarnation nahegebracht. Die Mitglieder seien alles Suchende. … Damit hat der Zeuge aber selbst die Ausführungen des Klägers bestätigt, wonach „Suchende“ über verschiedene Erkenntnisstufen den Glauben an die Wiedergeburt er- langen – eben so, wie dies von Scientology als „angewandter religiöser Philosophie“ als Ziel angestrebt wird. „

Weiter in den Entscheidungsgründen des Gerichts:

„Das Gericht ist jedoch der Überzeugung, dass die Personen, die letztlich bei einer Scientology-Organisation Mitglied werden und es bleiben – und auf deren Überzeugung es letztlich ankommt -, sich auch mit der „Philosophie“ von Scientology identifizieren. …

Dass der Kläger von seinen Mitgliedern Entgelte für Auditing, Kurse und Seminare verlangt, ist für sich gesehen kein Indiz für einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb, denn es ist unerheblich ,in welcher Form die Mitglieder die Tätigkeit ihres Vereins finanzieren.“