i. EINLEITUNG
Ich arbeite gegenwärtig als selbständiger Autor, Herausgeber, Dozent und Berater auf dem Gebiet der Theologie und Religionswissenschaften. Darüber hinaus lehre ich als außerordentlicher Professor für Religionswissenschaften an der Washington-Universität in St. Louis, Missouri.
Mein Lebenslauf ist dieser Erklärung beigefügt. Ich bin Bakkalaureus der Philosophie der Universität Quincy, Illinois (1962), und Bakkalaureus der Theologie der Harvard Divinity School in Cambridge, Massachusetts (1966, magna cum laude). Ich bin ebenfalls Doktor der Religionswissenschaft (1981) am University of St. Michael’s College, Toronto School of Theology, Toronto, Ontario. An der Harvard-Universität, an der Universität Heidelberg und an der University of Pennsylvania habe ich weiterführende Studien betrieben. 1966-67 war ich an der Universität Heidelberg Stipendiat der Fulbright-Stiftung für Philosophie und Religionen des Altertums im Nahen Osten.
1968-69 war ich Stipendiat der Stiftung National Defense Foreign Language an der Universität Pennsylvania für semitische Sprachen.
Seit 1962 widme ich mich intensiv dem Studium alter und neuer religiöser Bewegungen und Sekten. Ein Teil meiner Doktorarbeit befaßte sich ganz speziell mit dem Thema des Aufkommens neuer religiöser Bewegungen in den USA und im Ausland seit dem Zweiten Weltkrieg. Dazu gehört u. a. eine Untersuchung der Glaubenslehren, Lebensformen, der Verwendung religiöser Sprachen, der Führungskräfte, Motivation, Wahrhaftigkeit sowie der materiellen Ausstattung dieser neuen Religionen. Zu meiner Lehrtätigkeit an der Washington University gehört eine regelmäßige Vorlesung mit dem Titel The North American Religious Experience („Die Rolle der Religion in Nordamerika“), in der ebenfalls neue religiöse Bewegungen behandelt werden. Neben meinem wissenschaftlichen Interesse an Religionen bin ich mit dem religiösen Leben seit langem persönlich verbunden. Von 1958 bis 1964 war ich Minorit des Franziskanerordens. In dieser Zeit führte ich, getreu meinem Gelübde, ein Leben der Armut, der Keuschheit und des Gehorsams und bin daher mit der für das religiöse Leben typischen Ordnung und Disziplin vertraut.
Vor meiner Lehrtätigkeit an der Washington University dozierte ich von 1980-81 am Maryville College in St. Louis, Missouri; von 1977-79 an der St. Louis University in St. Louis, Missouri, an der ich Leiter des Magister-Studiengangs für Religionswissenschaften und -Lehren war; von 1976-77 an der University of Toronto, Ontario, als Tutor für vergleichende Religionswissenschaften; von 1970-75 am St. John’s College in Santa Fe, New Mexico, als Tutor für abendländische Literatur und Zivilisation; am LaSalle College in Philadelphia, Pennsylvania, während der Sommersemester 1969-73 als Dozent für Bibelstudien und Religionsanthropologie; von 1967-68 am Boston College in Boston, Massachusetts, als Dozent für Bibelstudien; und am Newton College of the Sacred Heart in Newton, Massachusetts, als Dozent für Bibelstudien.
Ich bin Mitglied der American Academy of Religion in gutem Ansehen. Ich bin praktizierender Katholik und gehöre der römisch-katholischen Gemeinde der All Saints Church, University City, Missouri, an.
Seit 1968 lehre und schreibe ich über die verschiedenen religiösen Bewegungen, die während des 19. und 20. Jahrhunderts in Nordamerika und anderswo aufgetreten sind. Meine Vorlesungen „Die Anthropologie der Religion“ (Universität Toronto), „Die Rolle der Religion in Amerika“ (Universität St. Louis) und „Die Rolle der Religion in Nordamerika“ (Washington-Universität) befassen sich mit religiösen Phänomenen wie dem Great Awakening (Großes Erwachen), den Shakern, den Mormonen, den Siebenten-Tags-Adventisten, den Zeugen Jehovas, der New Harmony, Oneida, Brook Farm, der Vereinigungskirche, Scientology, Hare Krishna, u.a. Ich habe zahlreiche Artikel darüber veröffentlicht und bin Herausgeber mehrerer Bücher zum Thema „Neue religiöse Bewegungen“. Im allgemeinen bin ich nicht bereit, Stellung zu existierenden religiösen Gruppierungen zu beziehen, es sei denn, ich habe mich über einen längeren Zeitraum hinweg und aus persönlicher Erfahrung mit ihren Praktiken und Gepflogenheiten vertraut gemacht. Vor Ausschüssen des amerikanischen Kongresses und der Legislative der US-Bundesstaaten Ohio, New York, Illinois und Kansas habe ich über unterschiedliche Aspekte neuer religiöser Bewegungen ausgesagt. Vorträge zum Thema „Neue religiöse Bewegungen“ habe ich an Colleges, Universitäten und bei Konferenzen in den USA, Kanada, Japan, der Volksrepublik China und in Europa gehalten.
Seit 1976 beschäftige ich mich eingehend mit der Scientology-Kirche. Dabei habe ich mir einen repräsentativen Querschnitt ihrer umfangreichen Literatur (Schriften) angeeignet, aufgrund dessen ich meine im nachfolgenden dargestellte Meinung gebildet habe. Ich habe Scientology-Kirchen in Toronto, St. Louis, Portland/Oregon, Clearwater/Florida, Los Angeles und Paris besucht und dadurch den Alltagsbetrieb der Kirche kennengelernt. Darüber hinaus habe ich mit Mitgliedern der Scientology-Kirche unzählige Gespräche geführt. Ferner habe ich einen Großteil der über die Scientology-Kirche veröffentlichten Literatur gelesen, die von objektiven, wissenschaftlichen Abhandlungen bis zu journalistischen Beiträgen – negativen wie positiven – reicht.
Als vergleichender Religionswissenschaftler vertrete ich die Auffassung, daß eine Bewegung nur dann eine Religion ist und daß eine Glaubensgemeinschaft nur dann eine Kirche darstellt, wenn sie drei Charakteristiken bzw. Merkmale aufweist. Diese drei Merkmale sollen im folgenden definiert werden:
(a) Die Religion muß eine Glaubenslehre bzw. Doktrin besitzen, die eine Beziehung der Gläubigen zur höchsten Bedeutung des Lebens herstellt (Gott, das höchste Wesen, das innere Licht, Unendlichkeit usw.).
(b) Die Glaubenslehre muß ihren Ausdruck in religiösen Praktiken finden, die wie folgt unterteilt werden: 1.) Verhaltensnormen (positive Gebote und negative Verbote bzw. Tabus) und 2.) Riten und Zeremonien sowie Handlungen und andere Bräuche (Sakramente, Einweihung, Weihe zum kirchlichen Amt, Predigt, Gebet, Bestattung der Toten, Eheschließung, Meditation, Buße, Lektüre der religiösen Schriften, Segnung usw.).
(c) Drittens müssen die Glaubenslehre und die Praktiken ihre Gläubigen bzw. Mitglieder dergestalt vereinigen, daß eine erkennbare Gemeinde mit hierarchischer oder Gemeindestruktur entsteht, die einen von den Mitgliedern erfahrenen spirituellen Lebensweg im Einklang mit der höchsten Bedeutung des Lebens besitzt.
Die oben aufgeführten Bedingungen werden nicht von allen Religionen mit dem gleichen Nachdruck bewertet oder in ähnlicher Form praktiziert, doch sind sie in mehr oder weniger abgewandelter Form charakteristisch für alle Glaubensgemeinschaften.
Aufgrund der genannten Grundvoraussetzungen und meiner Forschungsarbeiten über die Scientology-Kirche kann ich ohne Zögern bestätigen, daß die Scientology-Kirche eine bona fide Religion darstellt. Sie besitzt alle wesentlichen Merkmale anderer Weltreligionen: (1.) Eine verbindliche Glaubenslehre mit (2.) daraus hervorgehenden religiösen Praktiken (d. h. positiven und negativen Verhaltensnormen, religiösen Riten und Zeremonien sowie Handlungen und Bräuchen) und (3.) eine eindeutig erkennbare Glaubensgemeinschaft, die sich von anderen religiösen Gemeinschaften unterscheidet.
ii. DIE GLAUBENSLEHRE
Über die Glaubenslehre der Scientology gibt es einen umfassenden Literaturbestand, durch den sich die Gelehrten durcharbeiten müssen. Dabei darf nicht unberücksichtigt bleiben, daß die Scientology-Kirche – wie alle andereren religiösen Traditionen der Geschichte – ein organisches Gebilde darstellt und damit einem fortlaufenden Wandlungsprozeß unterworfen ist. Zur Literatur gehören wichtige Schriften von L. Ron Hubbard: Dianetik: Der Leitfaden für den menschlichen Verstand, Scientology: Die Grundlagen des Denkens, The Phoenix Lectures u.a. und darüber hinaus umfangreiche Handbücher für Ausbildung und Verwaltung, womit lediglich ein Bruchteil der gesamten Scientology-Schriften angesprochen wurde. Maßgeblich sind die Werke L. Ron Hubbards, die die ausschließliche Inspiration aller im Zusammenhang mit Auditing (seelsorgerische Beratung) und Ausbildung (Studium der Schriften) stehenden Doktrinen der Scientology-Kirche darstellen.
Aufgrund meiner Gespräche mit Scientologen und der Lektüre ihrer Schriften läßt sich belegen, daß die Mitglieder der Kirche sich zu einem grundlegenden Glaubensbekenntnis bekennen. Es besagt, daß der Mensch im Grunde gut ist, daß der Geist gerettet werden kann und daß die Heilung körperlicher und seelischer Qualen vom Geist ausgeht. Im folgenden das vollständige Glaubensbekenntnis der Scientology-Kirche:
Wir von der Kirche glauben:
Daß alle Menschen, welcher Rasse, Hautfarbe oder welchen Bekenntnisses sie auch sein mögen, mit gleichen Rechten geschaffen wurden.
Daß alle Menschen unveräußerliche Rechte auf ihre eigenen religiösen Praktiken und deren Ausübung haben.
Daß alle Menschen unveräußerliche Rechte auf ihr eigenes Leben haben.
Daß alle Menschen unveräußerliche Rechte auf ihre geistige Gesundheit haben.
Daß alle Menschen unveräußerliche Rechte auf ihre eigene Verteidigung haben.
Daß alle Menschen unveräußerliche Rechte haben, ihre eigenen Organisationen, Kirchen und Regierungen zu ersinnen, zu wählen, zu fördern und zu unterstützen.
Daß alle Menschen unveräußerliche Rechte haben, frei zu denken, frei zu sprechen, ihre Meinungen frei zu schreiben und den Meinungen anderer zu entgegnen, sich darüber zu äußern oder darüber zu schreiben.
Daß alle Menschen unveräußerliche Rechte haben, ihre eigene Art zu schaffen.
Daß die Seelen der Menschen die Rechte der Menschen haben.
Daß das Studium des Verstandes und die Heilung der geistig verursachten Krankheiten von Religion weder entfremdet noch in nichtreligiösen Gebieten geduldet werden sollten.
Und daß keine Instanz außer Gott die Macht hat, diese Rechte vorübergehend außer Kraft zu setzen oder aufzuheben, sei es öffentlich oder verborgen.
Und wir von der Kirche glauben:
Daß der Mensch im Grunde gut ist.
Daß er danach strebt zu überleben.
Daß sein Überleben von ihm selbst und von seinen Mitmenschen abhängt und davon, daß er ein brüderliches Verhältnis mit dem Universum erreicht.
Und wir von der Kirche glauben, daß die Gesetze Gottes dem Menschen verbieten:
Seine eigene Art zu zerstören.
Die geistige Gesundheit eines anderen zu zerstören.
Die Seele eines anderen zu zerstören oder zu versklaven.
Das Überleben seiner Kameraden oder seiner Gruppe zu zerstören oder zu mindern.
Und wir von der Kirche glauben, daß der Geist gerettet werden kann und daß der Geist allein den Körper retten oder heilen kann.
In diesem Glaubensbekenntnis finden sich weitere Ausführungen und Ergänzungen zu den Scientology-Lehren über die „acht Dynamiken“. Eine „Dynamik“ stellt den Drang, Antrieb bzw. Impuls zum Überleben auf den Ebenen des Selbst, der Sexualität (einschließlich der Fortpflanzung innerhalb der Familie), der Gruppe, der gesamten Menschheit, aller lebenden Dinge, des gesamten materiellen Universums, des Geistes und letztendlich der Unendlichkeit bzw. Gottes dar. Einigen oft verallgemeinernden Darstellungen zum Trotz hat die Scientology-Kirche immer an ihrem Glauben an eine spirituelle Dimension festgehalten, und zwar ganz speziell an ein höchstes Wesen. In den frühesten Ausgaben des Buches Scientology: Die Grundlagen des Denkens heißt es ausdrücklich: „Die achte Dynamik – ist der Drang nach einer Existenz als Unendlichkeit. Dies wird auch als höchstes Wesen bezeichnet.“ (Scientology: Die Grundlagen des Denkens, Los Angeles: Church of Scientology of California, 1956, Seite 38.) Vom Durchschnittsgläubigen der Scientology wird erwartet, daß er sein Selbst in vollstem Maß und soweit möglich auf allen acht Dynamiken verwirklicht und dadurch zu einem Verstehen des höchsten Wesens gelangt, d. h. zu einem Verstehen der Unendlichkeit, einem Ausdruck, dem die Scientologen den Vorzug geben.
Scientologen bezeichnen die spirituelle Wesenheit des Menschen als „Thetan“, was im wesentlichen der traditionellen Vorstellung von der Seele entspricht. Sie glauben, daß der „Thetan“ unsterblich ist und in vergangenen Leben in anderen Körpern gelebt hat. Die Scientology-Doktrin von „früheren Leben“ lehnt sich stark an die buddhistischen Lehren des Samsara, der „Seelenwanderung“, an. Weitere Ausführungen zur Seele folgen unter Absatz iii. a.
Das Glaubensbekenntnis der Scientology ist vergleichbar mit den klassisch-christlichen Glaubensbekenntnissen von Nizäa (325), dem lutherischen Augsburger Bekenntnis (1530) sowie mit der presbyterianischen Westminster Confession (1646). Denn wie diese traditionellen Glaubensbekenntnisse definiert auch das Glaubensbekenntnis der Scientology für seine Anhänger die höchste Bedeutung des Lebens. Es bestimmt und gestaltet daraus abgeleitete Verhaltensnormen und definiert eine Glaubensgemeinschaft, die sich ihm verschrieben hat. Wie die klassischen Glaubensbekenntnisse verleiht auch das Kredo der Scientology-Kirche den transzendentalen Wirklichkeiten Bedeutung: Der Seele, der Sünde (spirituellen Abirrungen), der Erlösung, der Heilung durch den Geist, der Freiheit des Gläubigen sowie der spirituellen Gleichheit aller Menschen.
Ihrem Glaubensbekenntnis zufolge unterscheiden Scientologen zwischen dem „reaktiven“, d. h. passiven (unbewußten) und dem „analytischen“, d. h. aktiven Verstand (mind). Der reaktive Verstand zeichnet auf, was Scientologen als „Engramme“ bezeichnen, nämlich Spuren seelischer Qualen, Verletzungen oder Einwirkungen. Sie gehen davon aus, daß der reaktive Verstand Engramme enthält, die in den vorgeburtlichen Bereich und sogar noch weiter in vergangene Leben zurückreichen. Die theologische Lehre von Engrammen lehnt sich stark an den Glaubenssatz des Buddhismus vom „Karma“ („Verstrickung“) an, das von früheren Inkarnationen herrührt und das Erreichen der Erleuchtung verhindert. Scientologen sind überzeugt, daß es dem Menschen nur schwer möglich ist, seine Fähigkeit zum Überleben auf den „acht Dynamiken“, Glück, Intelligenz und geistiges Wohlergehen zu erreichen, wenn er sich zuvor nicht von diesen Engrammen befreit hat. Auf der Basis dieses Glaubens bzw. spirituellen Wissens sind die Gläubigen motiviert, die vielfältigen Auditing- und Ausbildungsschritte zu durchlaufen, die den Schwerpunkt der religiösen Praktiken der Scientology-Kirche bilden. Zu Auditing und Ausbildung wird in Abschnitt iii ausführlicher Stellung genommen. Ein Neuling bzw. Anfänger der Praktiken von Auditing/Ausbildung wird als „Preclear“ bezeichnet. Sobald er sich von allen Engrammen befreit hat, ist er ein „Clear“. Diese Unterscheidung ist vergleichbar mit der christlichen Unterscheidung zwischen Sünde und göttlicher Gnade und der buddhistischen Unterscheidung zwischen einem nicht-erleuchteten (avidya) und einem erleuchteten Zustand (bodhi).
Unter „Clearing“ verstehen die Scientologen jedoch keineswegs nur das Wohlbefinden des einzelnen. Ihrer Theorie nach profitieren die Familie, Gruppe, Umwelt und Einflußsphäre eines Mitglieds, das die verschiedenen Phasen von Auditing und Ausbildung durchläuft. Mit anderen Worten: Positive Auswirkungen manifestieren sich in allen „acht Dynamiken“. Scientologen fühlen sich auch verantwortlich dafür, die Welt um sich herum zu verbessern und ihren Mitmenschen dabei zu helfen, den „Clear“-Zustand zu erreichen. Sie sind der Überzeugung, daß, wenn genügend Menschen diesen Zustand erreicht haben, das Hauptziel der Scientology-Kirche erreicht ist, das von L. Ron Hubbard folgendermaßen formuliert wurde: „Eine Zivilisation ohne Wahnsinn, ohne Kriminalität, ohne Krieg, in der fähige Menschen erfolgreich sein und ehrliche Menschen Rechte haben können und in der der Mensch zu höheren Ebenen des Daseins aufsteigen kann.“ L. Ron Hubbard, Scientology: Die Grundlagen des Denkens (Los Angeles, Church of Scientology of California, 1956, S. 112). In ihrem Streben nach Erneuerung, die Mißtrauen, Krieg und Selbstzerstörung eine klare Absage erteilt, unterscheidet sich die Scientology-Kirche nicht von anderen missionarischen und Erweckungsreligionen, nämlich dem Buddhismus, dem Judentum, dem Christentum und dem Islam.
Drei Aspekte in dem Bestreben der Scientologen, „den Planeten zu klären“ zum Zweck der Entstehung einer neuen Zivilisation, zeigen deutlich, daß die Glaubenslehre der Kirche ganz in Einklang steht mit den Lehren der großen Weltreligionen des Altertums und der Moderne. Zu diesen drei Aspekten zählen (a) ihr missionarischer Charakter, (b) ihre Universalität und (c) ihr Wesen äußerster Anteilnahme und Hingabe.
(a) Das religiöse Streben der Scientology-Kirche versteht sich als heilige Mission, die sich an alle Menschen wendet und ihnen allen zugänglich ist. So wie den Propheten der Bibel, z. B. Amos, Jesaja und Jeremias, durch Erscheinungen der Auftrag gegeben wurde, den Nationen weit und breit Frieden, Gerechtigkeit und Liebe zu verkünden, so fühlten sich auch die buddhistischen Missionare ab dem zweiten Jahrhundert n. Chr. berufen, die Botschaft Buddhas im Fernen Osten zu verbreiten, wie z. B. in China, Indochina, Indonesien, Korea und Japan. Heute verbreiten die japanischen Buddhisten-Missionare ihre Botschaft in Europa und in Nord- und Südamerika. Jesus von Nazareth sah in seinem Evangelium einen missionarischen Zweck und sandte deshalb seine Jünger in alle Welt. Der missionarische Aspekt des Islam ist gegenwärtig sehr stark, und die Anhänger Mohammeds stellen somit die am schnellsten wachsende Gefolgschaft der großen Weltreligionen dar, vor allem in Afrika und Ostasien. In ihrem Bestreben, „den Planeten zu klären“, damit eine neue Zivilisation entstehen kann, stehen die missionarischen Anstrengungen der Scientology-Kirche ganz im Einklang mit den Lehren der großen Weltreligionen.
(b) Die Scientology-Kirche versteht ihre Mission als universal. Demzufolge hat sie überall in der Welt Missionszentren eingerichtet und damit Auditing und Ausbildung weltweit zur Verfügung gestellt. Die eindeutig historische Parallele zum traditionellen Christentum ist das Gebot Jesu an seine Jünger: „Darum gehet hin und lehret alle Völker und taufet sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“ (Matthäus 28,19). Im achten Jahrhundert v. Chr. wurde dem jüdischen Propheten Amos aufgetragen, Gottes Wort nicht nur in Judäa und Israel zu verkünden, sondern es auch nach Damaskus, Gaza, Askalon, Tyrus, Sidon und Edom zu tragen, den „heidnischen“ Stadtstaaten in Kanaan, die den Glauben Israels an den Gott ihrer Väter nicht teilten (Amos, Kapitel 1-2). Heutzutage errichten Moslems Moscheen in London, Los Angeles, Toronto und sogar in Seoul, denn sie glauben an den universellen Charakter des Wortes ihres Propheten Mohammed. Auch die spirituellen Führer der Buddhisten und des Vedanta-Hinduismus bringen in der Überzeugung vom Universalcharakter ihrer Religion ihre heiligen Lehren und Lebensformen an unsere Gestade. Wiederum steht die Scientology-Kirche, was den Universalaspekt angeht, ganz im Einklang mit den Weltreligionen, indem sie ihre Technologie des Auditing und der Ausbildung, die nach Ansicht der Scientology-Missionare zum Wohl der Menschheit gereicht, in aller Welt verbreitet.
(c) Das angestrebte Ziel der Scientology-Kirche richtet sich darauf, einer genügend großen Anzahl Menschen die Erreichung des Clear-Zustandes zu ermöglichen, um einen Umschwung und somit eine bessere Zivilisation herbeizuführen. Ein derartiges Bestreben fällt in die Kategorie äußerster Anteilnahme und Hingabe. Allen Weltreligionen ist im Kern ihrer Lehren gemeinsam, daß sie ihren Anhängern eine zwingende Motivation vermitteln, ihre religiöse Mission mit Dringlichkeit und Notwendigkeit zu erfüllen.
Für einen Buddhisten sind diese Zentrallehren im Begriff der „Erlösung“ (Moksa) enthalten, d. h. dem Aufhören des Daseinsdurstes und dem Aufgehen in der Seligkeit und im Absoluten (Nirwana). In der Heiligen Schrift des Buddhismus Dhammapada erklärt Buddha: „Alle Dachsparren [meines alten Hauses] sind zerbrochen, zersplittert ist der Tragbalken; meine Gedanken sind gereinigt von Illusionen; der Daseinsdurst ist gelöscht“ (Abschnitt 154). Dieses Elementargefühl des Erwachens motivierte damals schon alle buddhistischen Mönche und Missionare, und die Motivation hat nur wenig von ihrer Kraft eingebüßt.
Wie bereits oben erwähnt, lehnt sich der Glaube der Scientologen an vergangene Leben und Reinkarnation stark an die buddhistische Lehre von Samsara an; ebenso weist die Lehre der Scientologen vom „Clearing“ starke Ähnlichkeit mit dem buddhistischen Glauben an Moksa auf. So wie der buddhistische Missionar in der Vergangenheit suchte, allen empfindungsfähigen Wesen die „Erlösung“ vom Daseinsdurst zu ermöglichen, so strebt auch der Scientology-Missionar danach, alle Menschen zur Erlangung des Clear-Zustandes zu befähigen und damit die Befreiung von Engrammen zu erlangen, die das Überleben, den Frieden und den Wohlstand aller behindern.
Wesentlich für den Zen-Buddhismus in Japan ist die „plötzliche Erleuchtung“ oder Satori der Menschheit, und die Stärke dieses Glaubens führte zu der Errichtung von Klöstern in Nord- und Südamerika sowie in Europa. Der unerschütterliche Glaube der Moslems an die Offenbarungen des Propheten Mohammed, der seinen Ausdruck in der großen Shahada („Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet“) findet, verleiht den Missionaren des Islam ihre Überzeugungskraft, mit der sie weltweit die Ungläubigen zum wahren Glauben zu bekehren suchen. In der biblischen Tradition ist es der zwingende Glaubenssatz, daß Gott das Heil und die universale Erlösung für alle Menschen begehrt, der Missionare motiviert hat und heute noch motiviert. So sah der Prophet des Alten Testaments, Jesaja, in der Erlösung der Menschheit durch Jahwe die Neuerschaffung eines himmlischen Jerusalems auf Erden, wo alles Fleisch den einzigen und wahren Gott anbeten wird (Jesaja 66, 22-23).
Im Neuen Testament betrachtet der Apostel Paulus die Erlösung durch Jesus Christus nicht nur als die Rettung der Christen oder der gesamten Menschheit, sondern als ein Versprechen auf die universale Befreiung, Erneuerung und Wiedererschaffung des gesamten Kosmos (Römerbrief 8, 19-23). Auch in diesem Zusammenhang stimmt die Scientology-Mission, zum Zweck der Erneuerung der Zivilisation „den Planeten zu klären“, mit der für die Weltreligionen charakteristischen unerschütterlichen Überzeugung ihres Glaubens und ihrer Motivation überein.
iii. RELIGIÖSE PRAKTIKEN
Hinsichtlich ihrer religiösen Praktiken finden sich bei den Scientologen ganz typische religiöse Zeremonien, die uns von den Weltreligionen gleichfalls bekannt sind, nämlich Riten der Einführung, also der Taufe („Namensgebung“ genannt), der Eheschließung, der Bestattung der Toten usw. Die zentrale religiöse Praktik in Scientology aber ist das Auditing, das in etwa vergleichbar ist mit den fortschreitenden Stufen der Meditation bei Katholiken, Buddhisten und Anhängern des Vedanta-Hinduismus. Parallel zum Auditing verläuft die Praktik der Scientology-Ausbildung, die unter Absatz iii (b) genauer ausgeführt werden soll.
(a) Unter Auditing versteht man eine Art Lernprozeß, durch den die Anhänger unter Anleitung spiritueller Führer (d. h. ausgebildeter Scientology-Geistlicher) die verschiedenen Stadien spiritueller Erleuchtung erfahren. Nach der Überzeugung der Scientologen führt dieses bewußte Durchlaufen der verschiedenen Stufen des Auditing zu einer Befreiung der Seele, d. h. des „Thetans“, von seinen Verstrickungen oder Engrammen. Die fortschreitenden Stadien des Auditing werden „Grade“ oder „Stufen“ genannt und sind auf der „Klassifizierungs-, Gradierungs- und Bewußtseinskarte“ der Scientology-Kirche abgebildet. Auf dieser Abbildung wird der Abstand zwischen den niedrigeren und höheren Ebenen spiritueller Existenz metaphorisch dargestellt. Scientologen nennen diese Karte die „Brücke zur vollkommenen Freiheit“ oder einfach „Die Brücke“. Sie zeigt das spirituelle Kontinuum auf, das sich von der negativen „Nicht-Existenz“ über die mittlere Ebene „Kommunikation“, „Erleuchtung“ und „Fähigkeit“ bis hin zu „Clearing“ und „Ursprung“ und letztendlich zu „Power auf allen acht Dynamiken“ erstreckt. Die religiösen Praktiken der Scientology-Kirche konzentrieren sich hauptsächlich auf Kurse für Auditing und Ausbildung zum Zweck der Erleuchtung und auf die Ausbildung der Auditoren, die Seelsorger der Scientology-Kirche. Diese aufeinanderfolgenden Stufen erinnern stark an die Stadien und Stufen religiöser und spiritueller Erleuchtung, wie sie von einem der bedeutendsten Vertreter der Scholastik, dem Hl. Bonaventura, in seinem Werk Reise des Geistes zu Gott und in den Spirituellen Übungen des Hl. Ignatius von Loyola, dem Begründer des Jesuitenordens, beschrieben werden. Die spirituelle Zielsetzung von Auditing ist es, zunächst „Clear“, frei von schädlichen Engrammen, und danach vollständiger „Operating Thetan“ (OT) zu werden, um „Ursache über Leben, Denken, Materie, Energie, Raum und Zeit“ zu sein. Während sich Scientologen nicht gegen das Aufsuchen eines Arztes zur Behebung körperlicher Leiden wenden, treten sie der Anwendung bewußtseinsverändernder Drogen entschlossen entgegen, da diese nach ihrer Überzeugung dem geistigen und spirituellen Heil der Seele im Wege stehen anstatt es zu fördern.
(b) Die andere zentrale religiöse Praktik der Scientology-Kirche ist die Ausbildung, d. h. das intensive Studium der Schriften der Kirche. Wenngleich dabei die Ausbildung von Auditoren, die fähig sind, die Gemeindemitglieder zu auditieren, einen zentralen Aspekt darstellt, so hat die Auditorenausbildung eine ebenso wichtige individuelle und spirituelle Komponente. Wie weiter unten beschrieben, steht diese spirituelle Komponente in Einklang mit der Betonung, die Scientologen und östliche Religionen auf religiöse Praktiken wie Meditation und Studium der Lehre legen – im Gegensatz zur Praktik der Gottesdienstfeier, die bei den meisten westlichen Religionen vorherrscht. Die Scientology-Doktrin besagt, daß den Glaubensmitgliedern auf ihrem Weg die „Brücke“ hinauf durch die Ausbildung genau die Hälfte ihres spirituellen Gewinns zuteil wird.
iv. DIE KIRCHENGEMEINDE
Wie alle mir bekannten Religionen zeichnet sich die Scientology-Kirche durch ein Gemeinwesen und eine kirchliche Organisation aus, die mit der Aufgabe des Erhalts und der Ausdrucksverleihung der Glaubenslehre sowie der Pflege der religiösen Praktiken betraut ist. Von der kirchlichen Organisation her ist die Scientology-Kirche eher hierarchisch als gemeinschaftlich strukturiert. Gemeinschaftlich organisierte Religionen üben ihre Autorität durch die Wahl der Geistlichen aus und bestimmen über Neugestaltung von Glaubenslehren (Kredo), religiösen Praktiken und kirchlichen Richtlinien. Die meisten protestantischen Konfessionen in den USA sind derart gemeinschaftlich strukturiert. Ihre Autorität leitet sich sozusagen von der Basis ab. Andererseits üben hierarchisch strukturierte Religionen ihre Autorität von oben aus durch Ernennung und Delegierung, entweder mittels eines kirchlichen Oberhauptes wie dem Pontifex Maximus (Papst) der römisch-katholischen Kirche und dem Dalai Lama des Buddhismus in Tibet oder mittels eines zentralen Exekutivorgans wie beispielsweise einer Bischofssynode bzw. eines Ältestenrats. Meine Analysen der Scientology-Kirche lassen den Schluß zu, daß ihre Ordnung eine klassisch hierarchische ist.
Im folgenden soll eine Kurzbeschreibung der Organisation der Scientology-Kirche gegeben werden. Der 1986 verstorbene L. Ron Hubbard ist seit jeher der einzige Ursprung religiöser Doktrin und Technologien, einschließlich der höheren OT-Stufen. Die höchste kirchliche Autorität wird von zwei Gremien ausgeübt, der Church of Scientology International (CSI) und dem Religious Technology Center (RTC). Als „Mutterkirche“ ist CSI mit der Hauptaufgabe betraut, das Glaubensbekenntnis der Scientology in aller Welt zu verbreiten. Die gleichfalls überaus wichtige Verantwortung des RTC liegt in der Wahrung, der Aufrechterhaltung und dem Schutz der Reinheit der Scientology-Technologie und darin, sicherzustellen, daß sie korrekt und ethisch gemäß den Grundsätzen der Scientology-Glaubenslehre angewendet wird. Die Funktionen des RTC sind denen der Glaubenskongregation der römisch-katholischen Kirche vergleichbar.
CSI und RTC unterstellt ist Scientology Missions International (SMI), eine Organisation, die als „Mutterkirche“ der Missionen in aller Welt fungiert. In ihrer Struktur ist sie der First Church of Christian Science in Boston sehr ähnlich, da auch letztere die Rolle der Mutterkirche für alle anderen Christian-Science-Kirchen übernimmt. In der Scientology-Kirche ist bei allen Meinungsverschiedenheiten in bezug auf die Doktrin das RTC oberster Richter und letzte Berufungsinstanz, genau wie der Vatikan und seine Kongregationen für die römisch-katholische Kirche.
Zu erwähnen bleibt an dieser Stelle noch die Sea Organization, die sich aus Mitgliedern der Scientology-Kirche zusammensetzt, die einen Schwur geleistet haben, der Kirche „eine Milliarde Jahre“ zu dienen. Damit geben sie ihrer Verpflichtung Ausdruck, der Kirche im Hier und Heute und in den unzähligen nachfolgenden Leben dienen zu wollen. Was die Jesuiten für die römisch-katholische Kirche bedeuten, das bedeutet die Sea Org für die Scientology-Kirche. Aus ihren Reihen kommen fast ausschließlich die Führungkräfte der Kirche.
Scientology beschreibt sich manchmal selbst als „angewandte religiöse Philosophie“. Dies hat wiederum dazu geführt, daß ihr von mancher Seite der Anspruch, eine Religion zu sein, abgesprochen wurde. Ich habe jedoch bereits oben erwähnt, daß aufgrund meiner Untersuchungen der Lehren der Kirche und meiner Gespräche mit ihren Mitgliedern ohne jeden Zweifel feststeht, daß Scientology all die Merkmale aufweist, die alle Religionen in der Geschichte und überall auf der Welt gemein haben: Eine ausgereifte Glaubenslehre, religiöse Praktiken und eine hierarchische Kirchenordnung. Darüber hinaus besitzt der Ausdruck „Philosophie“ mehrere Bedeutungen und steht keinesfalls in Widerspruch zum Begriff der „Religion“. Wörtlich bedeutet der Ausdruck Philosophie „Liebe zur Weisheit“, und alle bekannten Religionen beschäftigen sich auf die eine oder andere Art mit der „Weisheit“ bzw. Einsicht in eine absolute Wahrheit. In meinen Gesprächen mit Scientologen wurde deutlich, daß sie sich mit dem Ausdruck „Philosophie“ auf die höchste Bedeutung des Lebens und auf das Universum in der religiösen Auslegung des Wortes beziehen. Die Scientology-„Philosophie“ stützt sich auf den Glauben, daß die Seele unsterblich ist und ewig fortbesteht. Mit ihrem Gebrauch philosophischen Gedankenguts und dessen Einbindung in ihre Lehren unterscheidet sich die Scientology-Kirche ganz gewiß nicht von anderen mir bekannten Religionen. Zwischen Religion und Philosophie bestand schließlich schon immer ein Zusammenhang. In seinem großen Werk Summa Theologica verwendet der bedeutendste Theologe in der Geschichte der römisch-katholischen Kirche, der Hl. Thomas von Aquin, zahlreiche philosophische Ideen, Begriffe und Gebilde, die er der Lehre des griechischen Philosophen Aristoteles entnahm, und er drängt auf die moralische Anwendung dieses „philosophischen“ Gedankenguts. Es käme sicherlich niemand auf den Gedanken, Summa Theologica als etwas anderes als eine religiöse Abhandlung par excellence zu bezeichnen. Demzufolge widerlegt der Ausdruck „eine angewandte religiöse Philosophie“ in keinster Weise die Tatsache, daß Scientology eine bona fide Religion im vollsten Sinne der Bedeutung dieses Begriffes darstellt.
Charakteristisch für westliche Religionen – vor allem für das Judentum, das Christentum und den Islam – ist ihr traditioneller Anspruch auf Ausschließlichkeit. Jede Glaubensrichtung fordert für sich, der einzig wahre Glaube zu sein – kraft ihrer einzigartigen Glaubenslehre, ihres Erlösers, Propheten, Heilsweges oder ihrer Interpretation der höchsten Bedeutung von Leben und Wahrheit. Dieses Charakteristikum des Ausschließlichkeitsanspruches trifft im allgemeinen nicht auf die östlichen Religionsformen zu, wie z. B. den Hinduismus, Buddhismus, Konfuzianismus, Schintoismus und Taoismus. In östlichen Religionen ist es möglich, daß ein und dieselbe Person als Schintoist in das Leben eingeführt wird, sich sowohl nach schintoistischen als auch nach christlichen Bräuchen verheiratet und sich schließlich nach buddhistischen Riten bestatten läßt, ohne jemals eine „Entscheidung treffen“ zu müssen, welche Religion nun die „richtige“ ist. Gegenwärtig verliert sogar das Christentum in der westlichen Welt etwas von seinem Ausschließlichkeitscharakter, wie die Bemühungen unterschiedlicher Bekenntnisse zeigen, die sich im interreligiösen Dialog und gemeinsamen Gottesdiensten engagieren. Für Religionswissenschaftler, die sich unmittelbar mit den zeitgenössischen Religionspraktiken auseinandersetzen, ist das Phänomen pluralistischer Konfessionen nichts Neues und etwas vollkommen Selbstverständliches. Wenngleich die Scientology-Kirche eine große Nähe zu hinduistischen und buddhistischen Traditionen aufweist, so erhebt sie dennoch keinen Anspruch auf reine Nicht-Ausschließlichkeit, aber auch nicht auf Ausschließlichkeit. Von Scientology-Mitgliedern wird beispielsweise nicht verlangt, daß sie sich von ihrer vormaligen Religion lossagen, bzw. ihre Mitgliedschaft in anderen Kirchen oder Glaubensgemeinschaften aufgeben. Dies steht in Einklang mit der zeitgenössischen Auffassung multikonfessionaler Religiosität. Nichtsdestoweniger schließen sich Scientologen im allgemeinen in der Praxis ihrer Kirche voll und unter Ausschluß anderer Konfessionen an. Auf jeden Fall beeinträchtigt die Toleranz gegenüber Personen anderen Glaubens keineswegs die ganz spezifische religiöse Identität der Scientologen.
v. ANDACHTSFORMEN IN SCIENTOLOGY
Für Andacht (worship) gibt es keine allgemeingültige Definition, die mit vollkommener Unvoreingenommenheit auf alle Religionsformen angewendet werden kann. Am Ende von Abschnitt ii habe ich die drei Merkmale (eine Glaubenslehre, religiöse Praktiken und eine Glaubensgemeinschaft) erwähnt, die alle Religionen – wenn auch nicht im gleichen Ausmaß und in der gleichen Form – erfüllen. Ihre Unterschiede verleihen jeder Religion ihren einzigartigen Charakter. So legen die römisch-katholische, die griechisch-orthodoxe und die anglikanische Hochkirche großen Wert auf aufwendige Rituale mit Meßgewändern, Prozessionen, Kerzen, Hymnen, Ikonen, Weihwasser, Weihrauch usw. Dagegen sind derartig üppige Zeremonien bei streng protestantischen Konfessionen, wie beispielsweise der Brüdergemeinde (Brethren), als milde Form des Aberglaubens wenn nicht gar als Götzenverehrung verpönt. Bei diesen Richtungen des Protestantismus ist die Gottesdienstfeier auf die Verkündung des Evangeliums, eventuell einige Lieder, und auf das Gebet beschränkt. Die „Gesellschaft der Freunde“ – besser unter dem Namen Quäker bekannt – verwirft das Priestertum; während ihrer Gebetsversammlungen finden keinerlei Riten statt, sondern die Gläubigen treten schweigend zusammen. Wem der Sinn danach steht, der kann kurze Worte der Inspiration verkünden – oder es unterlassen. Ähnlich verhält es sich mit der Meditation, der Hauptandachtsform in buddhistischen Klöstern, während der die Gläubigen über lange Zeiträume hinweg in vollkommen bewegungsloser Betrachtung versunken sind. Im Mittelpunkt steht dabei nicht die Verehrung einer höchsten Gottheit, sondern die Auslöschung des Selbst und die Erlösung von allen Verstrickungen des Lebens.
Da es unmöglich ist, die verschiedenen Formen der Andacht auf einen absoluten, für alle Zeiten gültigen Nenner festzulegen, muß die vergleichende Wissenschaft sich ihrer mit viel Offenheit und Flexibilität annehmen. Die meisten Wörterbücher stellen sich dieser Anforderung, indem sie unter der Rubrik Andacht mehrere Definitionen aufführen. Darunter fallen erstens Begriffe wie „Riten“ und „Zeremonien“. Einige Religionswissenschaftler verstehen unter Riten und Ritualen das Stattfinden einer Transformation. Beispielsweise wird im christlichen Ritual der Taufe der Einzuführende von einem Zustand (der Sünde) in einen neuen Zustand (der Gnade) versetzt. Bei primitiven Völkern wird man durch festgelegte Rituale aus der Kindheit in das Erwachsenenleben eingeführt. In diesem Sinne findet im Scientology-Auditing, in der die Mitglieder von ihrem „Preclear“-Zustand in den „Clear“-Zustand übergehen, sicherlich eine Transformation statt. Dagegen haben bestimmte Zeremonien Bestätigungscharakter, d. h. der Status quo wird bestätigt und bekräftigt. Im allgemeinen erfüllen Sonntags- und Sabbat-Gottesdienste diesen Bestätigungszweck. Für die Glaubensgemeinschaft dienen diese Zeremonien damit ihrer Bestätigung als Religionsgemeinde und ihrer Identität als Konfession. Riten und Zeremonien sind häufig, wenn auch nicht immer, begleitet von aufwendigen Ausstattungen, wie beispielsweise Meßgewändern, Tanz und Musik, geheiligten Besprengungs- und Reinigungsritualen, Tier- und Speiseopfern, Segnungen u. a.
Zweitens erkennen Religionswissenschaftler generell an, daß Riten und Zeremonien nicht das Alpha und Omega der Andacht sein können. Daher beinhalten Definitionen weitere Begriffe, wie z. B. „Praktiken“, „Handlungen“ und „Feiertage“, und das aus gutem Grund. Die Form der Andacht des einen ist der Aberglaube des anderen. Und was einem Gläubigen als bedeutungslose Handlung erscheint – für einen Protestanten beispielsweise das Kreuzzeichen – ist für einen anderen Gläubigen ein Zeichen der Andacht. Religionswissenschaftler müssen deshalb religiöse Handlungen im Zusammenhang mit einer bestimmten Religion in ihrer Gesamtheit betrachten, d. h. mit den entscheidenden Zielsetzungen und Absichten ihrer Glaubensgemeinde. Dabei braucht der Wissenschaftler nicht an die Religion zu glauben, die er gerade erforscht, doch in seinem ernsthaften Bemühen, religiöse Phänomene zu verstehen, muß er begreifen, wie der Gläubige glaubt. Nur von dieser Warte aus kann der Religionswissenschaftler feststellen, welche Handlungen, Praktiken und Feiertage für eine beliebige Religionsgemeinschaft die für sie charakteristische Form der Andacht darstellen.
Unter einer weitgefaßten Definition von religiöser Andacht (Handlungen, Praktiken, Feiertage) lassen sich folgende Kategorien subsumieren: Das Studium heiliger Schriften, die Ausbildung anderer im Studium und im Vortragen der heiligen Schriften sowie andere Formen der religiösen Unterweisung. In manchen Religionen sind derartige Handlungen durchdrungen von heiligen Zeremonien. In Japan beobachtete ich beispielsweise die Novizen in den Klöstern des Zen-Buddhismus beim Herumtragen der Lotus-Sutra, die sie mittels ritualisierter Gesänge feierlich auswendig lernten. In den jüdischen Yeshivas nimmt das Studium des Talmud ähnliche ritualisierte Formen an.
In den mannigfaltigen Andachtsformen kann der Wissenschaftler zwei Richtungen erkennen. Die eine basiert auf Ritualen und feierlichen Handlungen, die andere auf Unterweisung und Meditation.
Die Frage, ob Auditing und Ausbildung Formen der Andacht darstellen, kann sich Anhängern der drei westlichen Weltreligionen, dem Judentum, dem Christentum und dem Islam, natürlich stellen. Im Zentrum der religiösen Andacht stehen bei diesen drei Religionen öffentliche Gottesdienstfeiern, Feiertage, Predigten, Gesänge, Sabbat- und Sonntagsgottesdienste und andere Glaubensbezeugungen. Wenngleich diese Formen der Andacht auch bei den orientalischen Religionen mannigfach anzutreffen sind, so liegt dort der Schwerpunkt der Andacht doch auf Meditation und Unterweisung. Wie bereits erwähnt, stehen beim Vedanta-Hinduismus und beim Zen-Buddhismus nicht die Gottesdienstfeier, sondern die Meditation und die Lektüre der spirituellen Schriften, der Sutras, im Mittelpunkt der Glaubensbezeugung. Beim Zen-Buddhismus ist solch spirituelle Lektüre im allgemeinen begleitet von Meditation über sog. Koans, kurze, prägnante und widersprüchliche Sprüche, die dem Gläubigen dabei helfen, die Schale des Alltagsbewußtseins zu durchbrechen und Satori zu erlangen, d. h. intuitive Erleuchtung.
Obwohl die Entdeckung und Kodifizierung der Auditing-Technologie allein auf L. Ron Hubbard zurückzuführen sind, haben die Scientology-Kirche und Hubbard selbst von Anfang an anerkannt, daß Scientology Ähnlichkeiten mit gewissen Aspekten des Hinduismus und vor allem des Buddhismus aufweist. Mit diesen beiden Traditionen verbindet Scientology der gemeinsame Glaube an die Erlösung, in deren Mittelpunkt der Übergang von Unwissenheit zu Erleuchtung, von Verstrickung zu Freiheit sowie von Verwirrung und Bewußtseinstrübung zu Klarheit und Licht stehen. Vor einigen Jahren habe ich einen Artikel über die Verwandtschaft zwischen der Scientology und dem Buddhismus veröffentlicht: Frank K. Flinn: „Scientology as Technological Buddhism“, bei Joseph H. Fichter, Hrsg., Alternatives to American Mainline Churches (New York, Paragon House, 1983, S. 89 ff.). In Übereinstimmung mit diesen östlichen Traditionen identifiziert die Scientology-Kirche ihre Form der Andacht logischerweise nicht so sehr mit Feierlichkeiten und Hingabe, sondern eher mit Meditation und Unterweisung, die Erkenntnis und Erleuchtung betonen oder „Clearing“, um den Scientology-Begriff zu verwenden.
Als Randbemerkung soll der Vollständigkeit halber noch hinzugefügt werden, daß die Elemente der Meditation und Unterweisung in westlichen Andachtsformen keinesfalls gänzlich fehlen. Der gottesfürchtige orthodoxe Jude glaubt ganz sicherlich, daß die inbrünstige Lektüre der Thora, der jüdischen Religionsgesetze, eine Form, wenn nicht gar die Form der Andacht überhaupt ist. Aus diesem Grund haben die orthodoxen Juden Yeshivas eingerichtet, wo die Thora und der Talmud andächtig gelesen werden. Dabei sind die Yeshivas nicht nur einfach als ein Ort der gewöhnlichen Unterweisung zu verstehen; sie sind gleichfalls ein Ort der Andacht. Analog dazu haben die Moslems Kuttabs und Madrassas eingerichtet, die der andächtigen Lektüre des Koran dienen. Ebenso finden sich innerhalb der römisch-katholischen Kirche zahlreiche Orden, die sich zum Großteil der schweigenden Lektüre und Meditation der heiligen Schriften verschrieben haben; die bekanntesten unter ihnen sind die Zisterzienser und die Trappisten.
Dennoch läßt sich allgemein feststellen, daß im Abendland Meditation, das Studium der heiligen Schriften sowie Unterweisung nicht die zentrale Stellung einnehmen wie im Morgenland. In Indien ist es durchaus nicht ungewöhnlich, wenn eine Person im fortgeschrittenen Lebensalter alles weltliche Hab und Gut verkauft und sich bis ans Lebensende an einen heiligen Ort begibt, zum Beispiel nach Benares (Varanasi) am Ganges, um dort den Rest des Lebens in Mediation über göttliche Dinge zu verbringen und gelegentlich Opferriten (Pujas) abzuhalten. Für einen gewöhnlichen Hindu ist solche Meditation die höchstmögliche Form der Andacht.
Ganz abgesehen von diesen Erörterungen ist es völlig erwiesen, daß Scientology sowohl die ganz typischen Formen der zeremoniellen und feierlichen Andacht aufweist als auch eine ihr eigene Form spiritueller Lebensführung – Auditing und Ausbildung. Als Vergleich und Kontrast sei der römisch-katholische Glaube genannt, in dem alle sieben Sakramente als Form der Andacht betrachtet werden. Aus diesem Grund werden die Sakramente vornehmlich in Kirchen von geweihten Geistlichen gespendet. Lediglich unter ganz besonderen Umständen werden Sakramente außerhalb der Kirche gespendet, z. B. bei der Krankensalbung. Zu den sieben Sakramenten zählen Taufe, Firmung, Beichte, Altarssakrament, Ehe, Priesterweihe und letzte Ölung. Das „höchste Sakrament“ der katholischen Kirche ist das Altarssakrament, die Eucharistie, die während der Messe gefeiert wird im Gedenken an den Tod und die Auferstehung Jesus Christi und seine Gegenwart in der Glaubensgemeinde.
Ebenso hat die Scientology-Kirche sozusagen ihr „höchstes Sakrament“, nämlich Auditing und Ausbildung. Das religiöse Hauptziel aller praktizierenden Scientologen ist es, „Clear“ zu werden und den Zustand „Operating Thetan“ zu erreichen, in dem man „Ursache über Leben, Denken, Materie, Energie, Raum und Zeit“ ist. Der Weg zu diesem Ziel sind die komplexen Stufen und Grade des Auditings und der Ausbildung. Was dem Katholiken die religiöse Bedeutung des Altarsakramentes ist, sind dem Scientologen Auditing und Ausbildung. So wie die Katholiken in den sieben Sakramenten ihren Hauptweg zur Erlösung der Welt sehen, so glauben auch die Scientologen an Auditing und Ausbildung als den Hauptweg zur Erlösung, was sie als „optimales Überleben auf allen acht Dynamiken“ beschreiben.
Auf die Frage „Wo sind die Andachtsräume der Katholiken?“ würde ich als Vertreter der vergleichenden Religionswissenschaft antworten – „Überall dort, wo Gläubigen die sieben Sakramente gespendet werden“. Auf die Frage „Wo sind die Andachtsräume der Scientologen?“ würde ich antworten: „Überall dort, wo Gemeindemitgliedern Auditing und Ausbildung in den Schriften der Scientology vermittelt werden“. Die heilige Schrift der Scientology-Kirche sind Hubbards Werke über Dianetik und Scientology. Der Hauptteil dieser Werke befaßt sich mit dem, was unter Scientologen als Auditing-Technologie bekannt ist, und der Durchführung und Weitergabe von Auditing und Ausbildung an die Mitglieder. Das überwältigende und nachdrückliche Schwergewicht, das in Hubbards Werken auf das Auditing gelegt wird, ist vollkommen ausreichend, den Religionswissenschaftler davon zu überzeugen, daß für die Scientology-Kirche Auditing und Ausbildung im Mittelpunkt ihrer religiösen Praktiken stehen und die Hauptform ihrer Andachtshandlungen darstellen.
Als Wissenschaftler der vergleichenden Religionswissenschaft stelle ich ohne Zögern fest, daß Auditing und Ausbildung die zentrale Form der Andacht im Glaubenssystem der Scientology-Kirche sind. Darüber hinaus sind die Orte, an denen Auditing und Ausbildung an Anhänger weitervermittelt werden, unzweideutig Andachtsräume der Scientology-Kirche.
Frank K. Flinn
Download (PDF, 370 KB) 16 Seiten
In englischer Sprache:
Scientology: The Marks of Religion
In dänisch:
Scientologi – En religions kendetegn
In ungarisch:
Szcientológia – A vallás ismérvei
In griechisch: ???????????? – ?? ?????????? ?????????? ??? ????????? In russisch:
|
||||
In spanisch:
Cienciología: rasgos de Religión |
In schwedisch:
Scientologi: Religionens kännetecken |
In niederländisch:
Scientology: De kenmerken van godsdienst |
In französisch:
Scientologie: les caractéristiques d’une religion |
In italienisch:
Scientology: I Segni Caratteristici di una Religione |