Lonnie D. Kliever – Scientology : Eine religiöse Gemeinschaft

II.FACHLICHE QUALIFIKATION

1955 erhielt ich an der Hardin-Simmons Universität einen Bakkalaureus magna cum laude der philosophischen Fakultät in der Fachrichtung Psychologie. 1959 schloß ich meine Studien in der Fachrichtung Theologie am Union Theological Seminary in New York ab. 1963 erhielt ich den Doktor der Philosophie in der Fachrichtung Philosophie und Religion von der Duke University.

In der Vergangenheit hatte ich folgende Lehrstühle inne: 1962-69: Philosophische Fakultät der University of Texas in El Paso, bis zur Position einer außerordentlichen Professorin, 1965-69: Theologische Fakultät der Trinity University in San Antonio, 1969-75: Theologische Fakultät der University of Windsor in Ontario, Kanada, bis zur Position eines Ordinarius. Seit 1973 bekleide ich eine Stelle als Ordinarius für Religionswissenschaft an der Southern Methodist University. Wie schon in den Jahren von 1975-1986 leite ich seit 1993 die Religionswissenschaftliche Fakultät.

Ich bin seit vielen Jahren Mitglied der American Association of University Professors, der American Academy of Religion, der Society for the Scientific Study of Religion, der American Theological Society, der Canadian Society for the Study of Religion, der Canadian Theological Society und des Council on the Study of Religion. Des weiteren bekleidete ich bei den meisten der obigen Fachverbände nationale Vorstandsposten, leitete dort Fachkomitees oder fungierte in den redaktionellen Ausschüssen dieser Fachverbände.

Ich bin Religions- und Kulturphilosophin, mit dem Schwerpunkt auf Religionen der Neuzeit. In dieser Fachrichtung befasse ich mich vorrangig mit den sich verändernden Formen religiösen Glaubens und seiner Ausübung — sowohl bei den alten Religionen als auch bei neueren Glaubensrichtungen — und wie sie sich den Anforderungen und Problemstellungen des modernen Lebens anpassen. Ich doziere regelmäßig vor Studenten und Hochschulabsolventen in den vergleichenden, philosophischen und sozialen Religionswissenschaften an der Southern Methodist University. Ferner betätige ich mich kontinuierlich als akademische Forscherin und Autorin auf meinem Spezialgebiet und habe fünf Bücher veröffentlicht, die sich mit modernem religiösem Denken befassen: Radical Christianity (1968), H. Richard Niebuhr (1977), The Shattered Spectrum (1981), The Terrible Meek: Essays on Religion and Revolution (1987) und Dax’s Case: Essays in Medical Ethics and Human Meaning (1989). Darüber hinaus habe ich zahlreiche Artikel in führenden wissenschaftlichen Fachzeitschriften veröffentlicht, unter anderem in The Harvard Theological Review , The Journal of Religion, The Journal of the American Academy of Religion, Studies in Religion, Religion in Life, The Religious Studies Review und The Journal for the Scientific Study of Religion.

Als Spezialistin auf dem Gebiet der modernen Religion habe ich die Scientology Kirche eingehend studiert. Ich habe die meisten wichtigen theoretischen Werke L. Ron Hubbards gelesen, viele der von Hubbard und den kirchlichen und administrativen Amtsinhabern der Kirche verfaßten technischen und verwaltungstechnischen Veröffentlichungen eingesehen und repräsentative Beispiele für Ausbildungsmaterial untersucht, wie es in der Kirche von Lehrkräften und Studenten auf verschiedenen Kursen benutzt wird. Zusätzlich habe ich eine Anzahl journalistischer und akademischer Untersuchungen der Scientology-Kirche gelesen. Außerdem habe ich mich mit aktiven Scientologen unterhalten und Niederlassungen der Kirche in New York in der 46. und 82. Straße, ihre Flag Service Organisation in Clearwater in Florida, sowie ihr Celebrity Centre in Dallas besucht.

II.AUFGABENSTELLUNG

Ich wurde um eine Stellungnahme als Expertin zu den folgenden Fragen gebeten: (1) Ist Scientology in jeder Hinsicht des Wortes als „Religion” zu bezeichnen? (2) Sind Scientology Kirchen „Stätten mit Andachtspraktiken” in jeder Hinsicht des Begriffs? Ich bin mir der Tatsache bewußt, daß sich diese Fragen im Rahmen eines administrativen Verfahrens stellen, in welchem festgelegt werden soll, ob Scientology-Gemeinden als „Andachtsstätten” für das Recht auf Steuerbefreiung qualifizieren. Mein persönlicher Ansatz zur Problemstellung ist nicht der eines Juristen, sondern der eines Religions- und Kulturphilosophen mit Spezialwissen auf dem Gebiet der modernen Religionen, zu denen Scientology zählt.

Der nachstehenden vollständigen Erläuterung möchte ich vorwegnehmen, daß ich die Scientology Kirche aufgrund meiner fachlichen Ausbildung und akademischen Forschung für eine religiöse Vereinigung im vollen Sinne des Wortes halte, weil sie die entsprechenden wissenschaftlich definierten Merkmale und religiöse Gesinnung aufweist. Ich bin des weiteren davon überzeugt, daß die Scientology eine „worshipping community” im vollen Sinne des Begriffs darstellt, also eine Gemeinschaft mit Andachtspraktiken, weil das Objekt ihrer Andacht sowohl absolut als auch transzendent ist, deren Formen sowohl geistlichen als auch bildenden Charakter aufweisen und die Anlässe für praktizierte Andacht sowohl privat als auch öffentlich sind.

III.ANALYSE DER SCIENTOLOGY KIRCHE ALS RELIGIÖSE ORGANISATION

III.I. SCIENTOLOGY ERFÜLLT DIE DEFINITION JEDER RELIGIÖSEN TRADITION

Viele Religionswissenschaftler definieren Religion nach rein funktionalen Gesichtspunkten. Die auf breiter Ebene vielleicht anerkannteste wissenschaftliche Definition ist die Beschreibung einer Religion durch den Philosophen Paul Tillich als „der Zustand der Ausrichtung an einem alles überragenden Prinzip”, und ihre Charakterisierung als „Mittel zur endgültigen Transformation”, wie es der Geschichtswissenschaftler Frederick J. Streng formulierte. Dieser Sichtweise entsprechend kann jedes Prinzip, das allen anderen übergeordnet wird oder jede Kraft, die einen Menschen von Grund auf verändern kann, als grundsätzlich religiös in Zielsetzung und Gesinnung betrachtet werden. Diese funktionalen Ansätze zur wissenschaftlichen Definition von Religion ähneln weitgehend jener, die im Fall Seeger gegen die Vereinigten Staaten von Amerika, 380 U.S. 163 (1965) gegeben wurde und grundsätzlich feststellte: „Religiöse Ausbildung und religiöser Glaube beinhalten und umfassen diejenigen aufrichtigen und bedeutungsvollen Glaubensinhalte, die im Leben eines Menschen einen Platz einnehmen, parallel zum Stellenwert eines orthodoxen Glaubens an ein Höchstes Wesen.”

Obwohl ich den wissenschaftlichen Nutzen und die juristische Korrektheit eines solch funktionalen Ansatzes anerkenne, ist meiner Zielsetzung als Akademikerin besser gedient, wenn ich mich auf eine engere Definition des Begriffs „Religion” stütze. Wie viele meiner Kollegen auf dem Gebiet der Religionswissenschaft definiere ich Religion prinzipiell als jedes System von Glaubensvorstellungen und -praktiken, welches für sich in Anspruch nimmt, Individuen und Gemeinschaften mit den transzendenten Grundlagen ihrer Existenz in Einklang zu bringen. Jedes einzelne Element dieser Definition ist von Bedeutung, weil es auf wichtige und unentbehrliche Aspekte jeder organisierten religiösen Tradition hindeutet. Jede Religion ist ein System von Glaubensvorstellungen und -praktiken. Eine Religion stellt einen Weg zur Verfügung, um die Welt mit all ihren Geheimnissen und Inhalten sowohl zu verstehen als auch zu bewältigen. Jede Religion unterhält und unterstützt Einzelwesen und Gemeinden. Eine Religion bindet den einzelnen in eine Gemeinde gleichgesinnter und gleich handelnder Menschen ein. Vor allem aber basiert jede Religion auf einer transzendenten Grundlage. Mit „transzendenter Grundlage” meine ich die Grenze, die eine Religion im allgemeinen zwischen der alltäglich-ordentlichen Welt und jenem außerordentlichen Wesen oder jener außerordentlichen Macht zieht, welche die alltägliche Welt zusammenschließt und vervollständigt. Religionen bezeichnen diese transzendente Grundlage oft als das Heilige, Göttliche oder Unendliche und bezeichnen es mit Namen wie Gott, Allah oder Brahma. Aber wie auch immer dies bezeichnet oder erklärt wird, jede Religion bekräftigt irgendeine höchste Wahrheit oder Wirklichkeit, die eine Antwort auf die grundlegenden Fragen der menschlichen Existenz beinhaltet. Das bestimmende Merkmal aller Religionen ist eine Verbindung zu dieser höchsten Wahrheit.

Es steht außer Frage, daß Scientology sowohl der funktionalen als auch der juristischen Definition einer Religion als „Ausrichtung an einem alles überragenden Prinzip” oder als „Mittel zur endgültigen Transformation” gerecht wird. Genauso sicher aber entspricht sie der engeren akademischen Definition einer Religion, die ich oben dargelegt habe. Die Scientology stellt ein System von Glaubensvorstellungen und Praktiken dar, das für sich in Anspruch nimmt, sowohl das Einzelwesen als auch Gemeinschaften mit der transzendenten Grundlage der gesamten Existenz in Einklang zu bringen. Genauer gesagt, Scientology besteht den sine qua non Test einer jeglichen Religion, weil sie die Wirklichkeit einer transzendenten Grundlage der menschlichen Existenz bekräftigt und diese transzendente Grundlage auf einer vollständig spirituellen Ebene begreift.

Scientologen verstehen das menschliche Leben als das Streben nach Überleben auf acht Dynamiken , oder Zielsetzungen. Diese sich wechselseitig beeinflussenden Dynamiken werden mit acht konzentrischen Kreisen dargestellt, wobei die Erste Dynamik der menschlichen Existenz schrittweise abfolgend von anderen Dynamiken umgeben und erhalten wird, mit zunehmenden Schwerpunkten auf die gemeinschaftliche und spirituelle Existenz. Die Existenz über jede dieser Dynamiken hinweg nimmt Teil an der ursprünglichen spirituellen Herkunft und der letztlichen spirituellen Bestimmung und lenkt auf diese hin. Die Erste Dynamik stellt das Streben nach dem Überleben als einzelner dar; die Zweite Dynamik strebt nach dem Überleben durch die Familie; die Dritte Dynamik ist das Streben nach dem Überleben durch die Gruppe; die Vierte Dynamik strebt nach Überleben als Menschheit; die Fünfte Dynamik ist das Streben nach dem Überleben aller Lebewesen; die Sechste Dynamik strebt nach Überleben als Teil des materiellen Universums; die Siebte Dynamik strebt nach dem Überleben als Teil des spirituellen Universums, und die achte schließlich strebt nach Überleben durch das Höchste Wesen oder als Unendlichkeit. Während sich die ersten sechs Dynamiken also eher mit dem spirituellen Wohlbefinden im täglichen Leben beschäftigen, verbinden die siebte und Achte Dynamik diese weltlichen Ebenen mit den geistigen Dimensionen einer Wirklichkeit, die weit über die der täglichen materiellen und sozialen Belange hinausgeht.

Die Siebte Dynamik der Scientology bekräftigt die Existenz einer geistigen Dimension, die den Körper und die materielle Welt weit übertreffen. Hiermit hat die von Scientologen vertretene Auffassung vom Menschen als geistiges Wesen eine gewisse Verwandtschaft mit dem unsterblichen Atman des Hinduismus oder der unsterblichen Seele des Christentums. Für die Scientologen stellt der Körper nicht den wahren Menschen dar, und noch weniger die Dinge, mit denen das menschliche Leben ausgekleidet und verlängert wird. Der wirkliche Mensch ist vielmehr das grundsätzlich gute geistige Wesen, das den Körper und das materielle Universum benutzt. Scientologen nennen dieses unsterbliche geistige Wesen den „Thetan”. Im Idealfall, wenn der Thetan über all seine Fähigkeiten verfügt, hat er unbegrenztes Wissen und unbegrenzte Macht. Der Thetan kann allerdings nicht vollständig „ursächlich” und frei agieren, ehe er sich nicht von bestimmten geistigen Blockaden und ihren negativen körperlichen und seelischen Auswirkungen befreit hat, die sich über viele frühere Leben körperlicher Existenz angesammelt haben. Diese geistigen Blockaden, die von Scientologen als Engramme bezeichnet werden, müssen entfernt werden, bevor der Thetan seine Schaffenskraft und Weisheit wiedererlangen kann. Das Verfahren der Entfernung dieser Engramme, das die Scientologen Clearing nennen, wurde von Hubbard entdeckt und mit dem spirituellen Heilungsverfahren Dianetik und der angewandten religiösen Philosophie Scientology vervollkommnet.

Die Achte Dynamik der Scientology bekräftigt einen spirituellen Zusammenhang des Lebens, der radikal das empirische Selbst und das materielle Universum transzendiert. Scientologen erheben nur widerwillig eine völlige technische Kontrolle und ein vollständiges philosophisches Verstehen dieser höchsten spirituellen Ebene. Diese ehrfürchtige Zurückhaltung hat jedoch unter den Weltreligionen eine lange Tradition. Die jüdischen Schriftgelehrten des Altertums wagten es aus Ehrfurcht vor „Schechinas Herrlichkeit” nicht, den Namen Gottes niederzuschreiben. Die christlichen Theologen des Mittelalters sprachen in der Erkenntnis seiner transzendenten Andersartigkeit von Gott nur in der Verneinung. Chinesische Weise des Altertums bestanden darauf, daß „der mit den Sinnen erkennbare Tao nicht der wirkliche Tao ist.” Mittelalterliche indische Mystiker sprachen von der Höchsten Wirklichkeit als „das, vor dem alle Welt zurückschaudert”. Die Scientology stimmt in diese traditionsreiche religiöse Bescheidenheit mit ein, indem sie klar aussagt, aber nicht völlig erklärt, daß menschliche Wesen auf der höchsten Ebene „durch das Höchste Wesen” oder als „Unendlichkeit” überleben.

III.II. SCIENTOLOGY VERFOLGT DIE ZIELE JEGLICHEN RELIGIÖSEN STREBENS

Jede Religion stellt ein Streben nach Erlösung dar. Tatsächlich erwächst die Notwendigkeit einer Religion vorrangig aus der Erkenntnis, daß mit der Welt des Menschen etwas nicht stimmt. Jeder Mensch lebt mit der Verurteilung zum Tode, der alles zu vernichten droht. Kulturelle Ideale und gesellschaftliche Institutionen können die Existenz des einzelnen verbessern und seinen Wert anheben, aber nicht überall und absolut. Die „gute Sache”, der sich der Mensch verschreibt, schlägt letztlich fehl. Jedes Reich, durch Menschenhand errichtet, zerfällt. Alle Religionen aber versprechen einen Weg durch das Chaos und die Zerstörung, von der alles menschliche Leben heimgesucht zu werden scheint. Die einzelnen Religionen der Welt weisen Unterschiede in der Auffassung auf, ob dieser „Weg” als Unterfangen des einzelnen oder der Gemeinschaft, als menschliche oder göttliche Errungenschaft, als dies- oder jenseitiger Lohn zu sehen ist. Aber alle Religionen versprechen die Erlösung vom Tode und nach dem Tode für all jene, die die geistigen Lehren annehmen und die geistigen Disziplinen des Lebens meistern.

Die Erlösung beschränkt sich nicht nur auf die endgültige Überwindung des Todes in einer jenseitigen Welt oder zukünftigen Existenz. Religionen versprechen eine Erlösung in dieser Welt und in diesem Leben von geistiger Verwirrung, körperlichem Leid und moralischem Chaos, die das menschliche Leben erschweren. Religionen versprechen typischerweise die Kraft, mit den Grenzsituationen des Lebens fertig zu werden und stellen die Mittel dafür zur Verfügung. Sie bieten Halt und Geborgenheit für Menschen, die an die Grenzen ihrer analytischen Fähigkeiten, körperlichen Ausdauer und moralischen Einsicht stoßen. Kurz, Religionen sind dazu da, die „Spitzenlast” menschlicher Verwirrung, menschlichen Leids und menschlicher Verderbtheit auf ihren Schultern zu tragen.

Wie andere Religionen auch verspricht die Scientology nicht nur die Erlösung vom Tod, sondern sie bietet auch einen Weg an, um menschliche Verwirrung, menschliches Leid und menschliche Verderbtheit zu überwinden. In einer Standarddefinition der Scientology, die wiederholt auf den Titelseiten ihrer eigenen Veröffentlichungen zu finden ist, werden diese drei grundlegenden Bedrohungen des Wohlbefindens angesprochen: „Scientology ist eine angewandte religiöse Philosophie und Technologie, die die Probleme des Geistes, des Lebens und des Denkens löst.” Für den Scientologen sind die Probleme der menschlichen Rasse im Grunde geistiger und nicht nur körperlicher oder mentaler Natur. Dem Geist, oder, um es genauer auszudrücken, dem Thetan, hängt ein Makel an, der den Körper schwächt und das Denken verdunkelt. Aber die Scientology verspricht ein Verfahren, um den Thetan von den unbewußten Erinnerungen an die in früheren Leben erlittenen Katastrophen sowie von den Schwächen des jetzigen Lebens zu befreien, die sein Bewußtsein benebeln und seine Fähigkeiten einengen. Daher verfolgt die Scientology eigens das Ziel, Verstand, Körper und Geist des Menschen von allen Aberrationen zu klären.

Und wie andere Religionen auch stellt Scientology ein Streben nach vollständiger Erlösung dar, welches das Leben in einer späteren „Welt”, aber auch das jetzige Leben umfaßt. Das Streben Scientologys nach Erlösung beinhaltet als Kernpunkt eine geistige Beratung, die sich Auditing nennt – ein Verfahren, das Ähnlichkeiten mit der westlichen Beichte und den östlichen Meditationstechniken aufweist. Auditing reinigt und „konzentriert” das Innenleben des Thetans. Die ersten Auditierphasen haben hauptsächlich mit den geistigen Dynamiken des einzelnen, der Familie, dem gesellschaftlichen und vorherigen Leben zu tun und sollen gesunde und glückliche Menschen hervorbringen. Die darauffolgenden Schritte erweitern das spirituelle Bewußtsein und die geistigen Fähigkeiten des einzelnen und befreien den Thetan endlich von der Abhängigkeit vom Körper und dem materiellen Universum. Mit anderen Worten, Scientology verspricht Glück in diesem Leben und Unsterblichkeit für all jene, die ihre „Brücke zur völligen Freiheit” überschreiten.

Schließlich beschränken Scientologen das Versprechen des durch Clearing zu erreichenden geistigen Wohlbefindens nicht auf den einzelnen. Das endgültige Ziel der Auditiertechnik ist, den „Planeten zu klären” und somit die Schaffung der spirituellen Bedingungen, unter denen eine alles umfassende Güte und beständiger Friede möglich sind. Scientology nimmt für sich in Anspruch, im Auditieren eine „spirituelle Technologie” zur Behebung der grundlegenden geistigen Ursachen von Feindseligkeit, Vorurteilen, Ungerechtigkeit und dem Fehlen von Gleichberechtigung, von Krieg und Ausbeutung zu besitzen. Erst wenn die Erde auf diese Weise geklärt ist, werden Menschen eine „Zivilisation ohne Wahnsinn, ohne Kriminelle und ohne Krieg” erreichen.

III.III. SCIENTOLOGY WEIST DIE MERKMALE JEGLICHER RELIGIONSGEMEINSCHAFT AUF

Wie die vorangegangene Erörterung zeigt, ist Religion nicht einfach eine private Angelegenheit. Trotz der Tatsache, daß Religionen im Herzen des Menschen wachsen und dort ihr Zuhause finden, ist Religion ein gesellschaftliches und geschichtliches Phänomen. Die religiöse Erfahrung des einzelnen wächst aus der religiösen Gemeinschaft heraus, die diese Religion bewahrt, und sie von einer Person zur anderen und von einer Generation zur anderen weiterreicht. Jede religiöse Gemeinde als solche ist um vier deutlich erkennbare Dimensionen herum aufgebaut, die miteinander verbunden sind. In Wiederspiegelung der Tatsache, daß eine religiöse Tradition sowohl theoretische und praktische wie auch individuelle und gesellschaftliche Aspekte aufweist, sind religiöse Gemeinschaften als System religiöser Glaubensvorstellungen, religiöser Praktiken, religiöser Einrichtungen und religiöser Führer strukturiert.

Wie alle Religionen besitzt Scientology ein unverwechselbares Gebäude religiöser Glaubensvorstellungen. Die einzelnen Scientologen nehmen diesen Glauben durch umfangreiche Einzel- und Gruppenstudien der philosophischen, technischen, ethischen und kredobezogenen Schriften L. Ron Hubbards an. Diese Schriften allein bilden die maßgebliche Quelle für die religiösen Glaubensvorstellungen der Scientology. Die Schriften Hubbards dienen also als heilige Schrift und haben für die Scientology dieselbe maßgebliche Bedeutung wie die Bibel für die Christen, die Thora für die Juden, der Koran für die Moslems, das Buch Mormon für die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage oder Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüsseln zur Heiligen Schrift für die Christlichen Wissenschafter. Hubbard wird somit auf ähnliche Weise als Stifter der Scientology betrachtet, wie Mohammed als Stifter des Islam oder Joseph Smith als Stifter des Mormonenglaubens angesehen wird.

Scientology hält, wie andere Religionen auch, an einem unverkennbaren Grundkörper religiöser Bräuche fest. Scientologen feiern die Riten der Hochzeit, der Namensgebung und der Bestattung gemäß der Zeremonien der Scientology Kirche. Das Herz des religiösen Lebens der Scientology sind aber die Praktiken des geistigen Auditings und der Ausbildung. Auditing und Ausbildung stellen die beiden Seiten „Der Brücke zur völligen Freiheit” der Scientology dar. Das Auditing der Scientology, das bis zu einem gewissen Grad der christlichen Beichte und der buddhistischen Meditation ähnelt, ist nicht einfach eine andere Version psychologischer Beratung oder psychoanalytischer Behandlung. Auditing ist die spirituelle Disziplin, mit der der Thetan von seinen „Engrammen” befreit oder „geklärt” wird – von jenen geistigen Verwicklungen, die den Geist verdunkeln und den Körper schwächen. Dieser Vorgang der Befreiung erfolgt in aufeinanderfolgenden Schritten. Jede Stufe des Auditings erreicht höhere Ebenen des spirituellen Bewußtseins und der Fähigkeit als die vorangegangene. Wenn genügend Einzelwesen geklärt geworden sind, habe der gesamte Planet eine Chance, ebenso geklärt zu werden. Gemäß dieser individuellen und gemeinsamen Ziele des Auditings befassen sich Scientologen auch mit der heiligen Mission, die Botschaft der Scientology zu verbreiten und Auditing für andere zu ermöglichen. Wie andere Missionsreligionen, zum Beispiel der Buddhismus, das Christentum und der Islam, will auch Scientology ihre Botschaft und die Wege zur Erlösung in der ganzen Welt und letztendlich im gesamten Universum verbreiten. Scientology-Ausbildung ist nicht nur wesentlich für die spirituelle Erleuchtung des Gläubigen selbst, sie ist absolut unerläßlich für die Erfüllung dieser weltweiten Mission. Ausbildung umfaßt das intensive und beaufsichtigte Studium der Schriften, Vorträge und Filme L. Ron Hubbards. Wie auch das Auditing, so erfolgen auch die Ausbildungskurse in aufeinanderfolgenden Schritten, die darauf ausgerichtet sind, die spirituelle Erleuchtung zu vertiefen und die Auditierfertigkeit weiter zu entwickeln. Nur ein auditierter und ausgebildeter Scientologe besitzt die spirituelle Technologie, andere über die Brücke zur völligen Freiheit zu führen.

Ebenso wie alle anderen Religionen hat Scientology spezialisierte, gesellschaftliche Organisations- und Führungsstrukturen entwickelt, um ihre Mitglieder zu betreuen und ihre Botschaft zu verbreiten. Scientology ist eine religiöse Gemeinschaft ehrenamtlicher Mitarbeiter, die als organisatorischer Unterbau für höchst unterschiedliche religiöse Aktivitäten und unter exakter hierarchischer Leitung aufgebaut ist. Die religiösen Dienste der Scientology werden durch fünf verschiedene Arten religiöser Zentren angeboten, abhängig von der verfügbaren Ebene des Auditings und der Ausbildung eines jeden Zentrums. Im allgemeinen bieten die Organisationen der jeweils höheren Ebene alle Dienste an, die von den Missionen und Kirchen der niedrigeren Ebenen angeboten werden. Scientology Missionen bieten alle „Wege zur Brücke”, sowie Auditing der niedrigeren „Ebenen”, bis zum Zustand „Clear” an. Die Scientology Kirchen, die auch Orgs (abgekürzt für „Organisationen”) genannt werden und sich in größeren Städten befinden, stellen alle „Wege zur Brücke” sowie Ausbildung bis einschließlich „ Klasse-V-Auditor” und Auditing bis zum Zustand „Clear” zur Verfügung. Die Saint Hill Orgs und Fortgeschrittenen Orgs, die sich in England, Los Angeles, Kopenhagen und Sidney befinden, sind auf Auditoren-Ausbildungen und die unteren Stufen von „OT” (Operating Thetan) bis einschließlich „OT V”, spezialisiert. Die Scientology Flag Service Org in Clearwater, Florida, ermöglicht alle Dienste bis zu den höchsten Ebenen der Ausbildung und des Auditings, bis einschließlich „OT VII”. Nur die Flag Ship Service Organisation ermöglicht die höchste Ebene des Auditings, „OT VIII”.

Die hierarchische Struktur der Scientology Kirche basiert auf ihren religiösen Grundlagen und dient religiösen Zwecken. Ihre körperschaftliche Struktur wurde in Übereinstimmung und als Ergänzung zur innerkirchlichen Struktur geschaffen. Die meisten der einzelnen Organisationen sind eigenständig eingetragene Körperschaften und agieren unter der Leitung und Aufsicht der Church of Scientology International, der Mutterkirche der Religion, die mit der Verbreitung und Förderung des Glaubens beauftragt ist. Das Religious Technology Center ist verantwortlich für die Aufrechterhaltung der „Reinheit” der angewandten religiösen Philosophie Scientology und ihrer Technologie der geistigen Heilung. Mit der Nachbildung eines körperschaftsrechtlichen Modells reflektiert die Scientology Kirche die vorherrschenden sozialen Institutionen der Gesellschaft – ähnlich wie die Römisch-Katholische Kirche die Feudalaristokratie der Kulturen des Mittelalters widerspiegelte und protestantische Bekenntnisse sich nach den kapitalistisch orientierten Demokratien der Neuzeit ausrichteten. Die besondere organisatorische Form, die eine bestimmte Religion annimmt, ist aber eindeutig trennbar von den besonderen religiösen Zwecken, denen sie dient.

Die Leitung der Scientology Kirche basiert auf der gebietenden religiösen Vision und der Autorität L. Ron Hubbards. Im Gegensatz zu früheren religiösen Stiftern wie Buddha und Jesus ist Hubbard selbst unter Scientologen nicht Gegenstand religiöser Anbetung, auch wenn ihm große religiöse Bewunderung und Zuneigung entgegengebracht werden. Stattdessen werden ausschließlich die angewandte religiöse Philosophie und Technologie des geistigen Heilens, die er entdeckt und entwickelt hat, als unantastbar betrachtet. Dennoch betrachten Scientologen Hubbard als einzigartige Persönlichkeit in der Geschichte des Menschen und des Kosmos, da er allein einen Weg durch den Tod und all die vielen „Teilstücke des Todes” gefunden hat, die das Leben seiner natürlichen Gesundheit und seines natürlichen Glücks und seines übernatürlichen Bewußtseins und seiner übernatürlichen Fähigkeit berauben. Die Scientologen glauben, daß ihr Stifter, der nach seinem Tod von den Beschränkungen seines Körpers und dieser Welt befreit war, seine Eroberung des Lebens „auf der anderen Seite der Brücke zu höheren Stufen hin verfolgt”.

Scientology hat nicht die volle Bandbreite religiöser Spezialisten hervorgebracht, die in älteren religiösen Traditionen zu finden sind. In den Glaubensvorstellungen und in den Praktiken der Scientologen gibt es keinen Platz für „Heiler” oder „Heilige” und keinen Bedarf an „Propheten” oder „Reformatoren”. Aber die allgemeinen Rollen des „Priesters” und „Lehrers” sind fest etabliert, auch wenn die Scientologen diese religiösen Funktionsträger als Geistliche und hauptamtliche Mitarbeiter der Scientology Kirche bezeichnen. Scientology-Geistliche werden nach dem Abschluß eines vorgeschriebenen Studiums und Praktikums von der Kirche ordnungsgemäß ordiniert, und als ordinierte Geistliche sind sie dann besonders dazu befugt, Sonntagsdienste, Hochzeiten, Namensgebung und Bestattungen, und auch die besonderen Dienste des spirituellen Auditings und der spirituellen Ausbildung durchzuführen. Scientology-Mitarbeiter sind für eine Vielzahl spezialisierter Lehr- und Verwaltungsfunktionen auf den verschiedenen Ebenen und Zweigen der Kirchenorganisationen ausgebildet. Einige Scientology-Geistliche und Mitglieder des Personals gehören auch einem besonderen religiösen Orden namens Sea Organization an. Ihre Mitglieder verpflichten sich dem Dienst für eine Milliarde Jahre und arbeiten zusammen daran, sicherzustellen, daß Scientology Kirchen und Missionen Menschen weiterhin die Brücke hinauf helfen und somit das Ziel der Kirche verwirklichen, diesen Planeten und somit letztendlich auch das Universum zu klären. Außerdem verbreitet die Scientology Kirche ihren religiösen Glauben und ihre Praktiken durch einen sehr hingebungsvollen und sehr gründlich ausgebildeten Stab von Mitgliedern, die keine Mitarbeiter der Kirche sind, der ebenfalls in der Lage ist, der Öffentlichkeit die angemessenen Ebenen spirituellen Auditings der Scientology anzubieten.

III.IV. SCHLUSSFOLGERUNG

Aufgrund meiner beruflichen Ausbildung und der oben zusammengefaßten Lehrstudien bin ich überzeugt, daß Scientology in jeder Hinsicht des Begriffs eine Religion ist. Die spirituellen Disziplinen und institutionellen Verkörperungen Scientologys sind in der Tat etwas besonderes. Aber sie sind auch angemessen für eine neue Religion, die versucht, die Spiritualität östlicher und die Geschichte westlicher Religionen in einer „überkonfessionellen” Bewegung zusammenzufassen, und die andere religiöse Traditionen respektiert, während sie sie auch transzendiert. Dennoch erfüllt Scientology eindeutig die wissenschaftliche Definition religiöser Tradition, verfolgt eindeutig die Ziele allen religiösen Strebens, und weist deutlich die Dimensionen aller religiösen Gemeinschaften auf.

IV. ANALYSE DER SCIENTOLOGY KIRCHE ALS GEMEINSCHAFT MIT ANDACHTSPRAKTIKEN

Andachtspraktiken sind innewohnende Bestandteile einer jeden Religion, wenn sie auch von Religion zu Religion unterschiedlich sind. Das unlösbare Band zwischen Religion und Andacht wird in der Bedeutung des Begriffs „Andacht” im Allgemeinverständnis als bewundernde Hingabe und Hinwendung offenbar. Solche eindeutigen Haltungen und Handlungen sind bei der funktionellen Definition von Religion als „Zustand höchsten Interesses” oder „Mittel zur endgültigen Transformation” eindeutig impliziert. Andachtspraktiken richten sich auf intensive Interessen. Die andächtigen Haltungen und Handlungen sind noch offensichtlicher bei der Definition von Religion im wesentlichen als „Ausrichtung auf die transzendente Grundlage persönlicher und gesellschaftlicher Existenz”. Andacht richtet sich auf übermenschliche Mächte. Bei jedem Versuch, Religion zu definieren, beginnen und enden doch alle Religionen mit Andachtspraktiken.

Die Bandbreite der in der Begriffsdefinition enthaltenen Einstellungen und Handlungen umfaßt die gesamte aktive Seite der Religion. Im weitesten Sinne beinhalten Andachtspraktiken alle Riten, Rituale, Zeremonien, Bräuche, Feiern oder Gottesdienste, die in einem geheiligten Zusammenhang und für einen geheiligten Zweck geschehen. In diesem Licht betrachtet, können Andachtspraktiken die gesamte Bandbreite – angefangen von öffentlichen Feiern bis hin zur privaten Besinnlichkeit – umspannen, von feierlichen Zeremonien bis zu gewohnheitsmäßigen Routinen. Der Begriff „Andacht” ist aber normalerweise für die beabsichtigte Kultivierung eines fortdauernden religiösen Glaubens, religiöser Werte und Gefühle durch einen disziplinierten Ablauf von Handlungen reserviert. Solchermaßen beziehen sie die gesamte Person in eine durch eine bestimmte religiöse Tradition vorgeschriebene, feste Form von Gottesdiensten ein. Die religiösen Traditionen weichen natürlich bezüglich ihrer Gegenstände, Formen und Anlässe für Andachtspraktiken voneinander ab, je nach ihrem spezifischen Verständnis der göttlichen und menschlichen Wirklichkeit.

IV.I. DAS OBJEKT DER ANDACHTSPRATIKEN IN SCIENTOLOGY

In der langen Geschichte der Religionen umfaßten die Gegenstände der Andacht alles von übernatürlichen Wesen bis hin zu besonderen Stellen in der Natur, von unsichtbaren Kräften bis zu heroischen Individuen, von abstrakten Prinzipien bis zu konkreten Symbolen. Wie der Historiker Arnold Toynbee aber gezeigt hat, kann diese anscheinende Vielfalt auf drei Objekte oder Ziele zusammengefaßt werden – die Natur, die Menschheit und das absolut Wahre, das weder Natur noch Menschheit ist, ihr aber innewohnt und gleichzeitig über sie erhaben ist.

Die meisten Wissenschaftler der Religionsgeschichte sind sich einig, daß die frühesten Formen der Religion ihre Wurzeln in der Anbetung natürlicher Phänomene oder in parochialen Gemeinschaften hatten. Die Polytheismen der alten Welt waren Feierlichkeiten zu Ehren der Mächte und Möglichkeiten der natürlichen Umgebung oder der menschlichen Welt. Diese Formen der Andacht SIND natürlich nicht vom Gesicht der Erde verschwunden. Aber die großen „Weltreligionen” konzentrieren sich alle auf die Anbetung einer absoluten Wirklichkeit, die sowohl die Natur als auch die Geschichte transzendiert.

Diese absolute Wirklichkeit wird von den verschiedenen Religionen unterschiedlich interpretiert. Allgemein ausgedrückt verstehen die westlichen Religionen des Judentums, Christentums und des Islams diese absolute Wirklichkeit als etwas Personifiziertes. Diese Traditionen beten eine personifizierte Wirklichkeit an, die man im Rahmen einer persönlichen Beziehung kennenlernen oder erfahren kann und der man im Rahmen dieser Beziehung dienen kann. Andachtspraktiken dieser theistischen Religionen zielen letztlich auf eine Kommunikation mit diesem persönlichen Wesen ab. Im Gegensatz dazu sehen die östlichen Religionen des Hinduismus, Buddhismus und des Taoismus – wiederum allgemein ausgedrückt – diese absolute Wirklichkeit oder Wahrheit als unpersönlich an. Diese Traditionen verehren ein vereinigendes Wahres, das auf eine geistig-innerliche Weise verstanden und erfahren werden kann. Die Andachten dieser monistischen Religionen haben eine Vereinigung mit diesem nicht personifizierten Wesen zum Ziel.

Scientology gehört eindeutig zu jenen Religionen, deren Andachtspraktiken einer absoluten Wirklichkeit oder Wahrheit dienen, die die natürliche Ordnung und die menschliche Existenz transzendiert, wobei sie beide umfaßt und vollzieht. Wie oben angeführt, ist das ultimative Ziel des religiösen Lebens der Scientology Religion das Überleben „durch ein Höchstes Wesen” oder „als Unendlichkeit”. Wie wir sehen werden, sind Auditing und Ausbildung die primären Formen der spirituellen Andachtspraxis in der Scientology Kirche. Diese religiösen Handlungen rüsten den Scientologen dazu aus und helfen ihm, zu überleben und über alle acht Dynamiken hinweg zu wachsen. Diese geistigen Übungen helfen dabei, gesunde und glückliche Individuen, Familien und Gruppen zu bilden. Letztendlich aber ermöglicht diese Praxis der Andacht den einzelnen Scientologen, sich selbst als geistige Wesen in einem geistigen Universum zu erkennen, das den physischen Körper und die materielle Welt radikal transzendiert.

Als solches hat das Verständnis der absoluten Wirklichkeit in der Scientology-Religion mehr mit den mystischen Traditionen der östlichen Religionen gemein, als mit ihren theistischen Gegenstücken im Westen. Wenngleich die Scientology Kirche auch resolut die Existenz Gottes bestätigt, so hat sie doch kein Dogma bezüglich der Natur Gottes. Es steht den Scientologen frei, Gott als persönlichen oder unpersönlichen Gott zu symbolisieren, solange sie die Realität Gottes bestätigen. Die Mehrzahl unter ihnen betrachtet Gott jedoch weniger als ein personifiziertes Wesen, das persönliche Hingabe und Gehorsam fordert, sondern eher als eine geistige Kraft, die individuelle Forschung und Entdeckung verlangt. Gott kann von innen heraus und nicht außerhalb entdeckt werden, eher durch persönliche Erfahrung und nicht durch dogmatische Lehren.

IV.II. DIE FORMEN DER ANDACHTSPRATIKEN IN DER SCIENTOLOGY

Andachtspraktiken sind von Religion zu Religion verschieden, je nach dem ganz eigenen Verständnis der göttlichen und menschlichen Wirklichkeit innerhalb jeder Religion. Es können aber bestimmte, verallgemeinernde Vergleiche zwischen den jeweiligen Formen in westlichen und östlichen religiösen Traditionen angestellt werden. Im Gegensatz zu den religiösen Traditionen des Westens, bei denen sich die Ausübungen der Andacht auf das Gebet und Lob eines persönlichen Gottes beziehen, liegt der Mittelpunkt dieser Disziplinen in den östlichen Religionen in der Meditation und der Identifizierung mit einem unpersönlichen Absoluten. Die erstgenannten Religionen feiern eine Beziehung zwischen dem einzelnen und dem Höchsten Wesen, letztere stellen eine Verbindung zwischen dem wahren Selbst und der höchsten Wirklichkeit her.

Wenngleich Scientology unverkennbar eine Religion mit eigenen, unverkennbaren Formen der Andacht ist, so haben diese Formen doch mehr mit den geistigen Disziplinen östlicher Religionen gemein, als mit den Ausdrucksformen der westlichen Glaubensrichtungen. Wie bei ihren östlichen Gegenstücken sind die Andachtspraktiken in der Scientology Kirche ein höchst disziplinierter und sehr verfeinerter Vorgang der Selbstuntersuchung und Selbstentwicklung. Diese geistigen Übungen zur Erhöhung des Bewußtseins und der Fähigkeiten des einzelnen sind, vereinfachend gesagt, in die zwei Kategorien Auditing und Ausbildung aufgeteilt, den beiden Seiten der „Brücke zur völligen Freiheit” der Scientology.

Scientology-Auditing, das eine gewisse Ähnlichkeit mit der christlichen Beichte und der buddhistischen Meditation aufweist, ist eine Form der spirituellen Beratung, die es einer Person ermöglicht, ihre Identität als geistiges Wesen zu entdecken, das das Potential unendlichen Überlebens in sich trägt. Auditing reicht von sehr einfachen bis hin zu durchdringenden religiösen Erfahrungen während man die Brücke mehr und mehr hinaufschreitet. Die Scientologen glauben, daß die höchsten Ebenen geistigen Bewußtseins und der Fähigkeit nur durch das Durchschreiten der ansteigenden Ebenen des Auditings erreicht werden können. Die niedrigeren Ebenen des Auditings führen zum geistigen Zustand des „Clear”, der ihn soweit befreit, um ein geistig gesundes und produktives Leben zu führen, während die höheren Ebenen des Auditings, bekannt als die Stufen des „Operating Thetan”, dem Thetan helfen, direkten Einfluß auf Leben, Materie, Energie, Raum und Zeit zu nehmen.

Die Scientology-Ausbildung, die dem Bibelstudium und den religiösen Unterweisungen im Judentum und Christentum sowie im Hinduismus und Buddhismus ähnelt, bereichert die durch geistiges Auditing erreichte Freiheit um religiöses Wissen. Der breite Rahmen der Ausbildung in der Scientology-Religion ist in eine Vielzahl von Kursen unterteilt, die von Kursen der niedrigen Ebene über grundlegende Prinzipien bis zu Kursen der höheren Ebenen reichen, die das gesamte philosophische und fachspezifische Material der Dianetik und Scientology abdecken. In diesem Sinn bietet Ausbildung dasselbe Maß an spiritueller Erkenntnis wie das Auditing. Die Ausübung des Glaubens besteht für Scientologen in der Tat zu gleichen Teilen aus Auditing und Ausbildung in den Prinzipien und der Technologie der Scientology. Ein Mensch kann kein vollständiges spirituelles Bewußtsein erlangen, ohne beide Seiten der Brücke zur völligen Freiheit zu beschreiten.

Während sich die primären Formen der Andacht in allen Religionen auf heilige Objekte beziehen und Ausdruck geistiger Erfahrungen sind, gibt es andere Rituale, die routinemäßig im Zusammenhang und im Geiste der religiösen Praxis durchgeführt werden. Die bedeutendsten dieser Bräuche sind die Riten anläßlich der verschiedenen Lebensstadien, die die wichtigen Momente von Übergang und Wandlung für den einzelnen und die Gemeinschaft kennzeichnen. Jede Religion feiert die Lebensstadien ihrer Gläubigen und die Tradition heiliger Geschichte auf ihre Art, und die Scientology ist da keine Ausnahme. Die Scientology Kirchen begehen regelmäßig den Ritus der Namensgebung, der Hochzeit und der Bestattung gemäß den Zeremonien der Scientology sowie die Feiertage ihres Glaubens gemäß der heiligen Geschichte ihrer religiösen Überzeugung und des täglichen Lebens.

IV.III. DIE ANLÄSSE DER ANDACHTSPRATIKEN IN SCIENTOLOGY

In der Geschichte der Religionen finden Andachtshandlungen sowohl aus privaten wie auch öffentlichen Anlässen statt. Sie sind nicht auf formelle Zeremonien und gemeinsame Feiern einer versammelten Religionsgemeinschaft beschränkt. Privat finden sie oft zu Hause statt, abhängig von bestimmten Zeiten (zum Beispiel von Mahlzeiten oder dem Aufstehen oder Schlafengehen). Die täglichen Andachten der Christen, die rituellen Segnungen der Juden, die täglichen Gebete der Moslems, die zeremoniellen Sprechgesänge der Hindus und die sitzenden Meditationen der Buddhisten sind alles authentische Ausdrücke von Andachtshandlungen, auch wenn sie im Privatbereich des eigenen Heims oder sogar in der Abgeschiedenheit des eigenen Geistes erfolgen. Andachtspraktiken sind aber auch eine öffentliche Angelegenheit, ob sie nun gemeinsam mit anderen oder nur in Gegenwart anderer ausgeführt werden. Gemeinschaftliche Anbetung ist für die öffentliche Anbetung in den theistischen Religionen des Westens die Norm. Die menschlichen Worte werden Gott in formalisierten Gebeten und Lobeshymnen präsentiert, und im Gegenzug wird den Menschen Gottes Wort durch die Bibel und Kommentare verkündet. Die Form der öffentlichen religiösen Verehrung in den monistischen Religionen des Ostens sieht etwas anders aus. Natürlich gibt es viele üppige Zeremonien und Feste, die gemeinsam gefeiert werden. Aber typischerweise versammeln sich die einzelnen Gläubigen an öffentlichen, heiligen Stätten, wo jeder Betende als Ausdruck persönlicher Hingabe die vorgeschriebenen rituellen Äußerungen tätigt und die vorgeschriebenen Gesten ausführt. Bei beiden Formen öffentlicher Anbetung hängt die Ausführung der Anbetung von einer Gruppe von Experten ab, die Meister der Wege und der Bedeutung des spirituellen Kultus sind.

Ähnlich wie bei anderen Religionen können Andachtshandlungen in der Scientology Kirche zu privaten wie zu öffentlichen Anlässen stattfinden. Auditing kann an einem ruhigen Ort ohne Ablenkung stattfinden, wie zum Beispiel zu Hause. In solchen Fällen wird das Auditing aber von einem intensiv ausgebildeten Fallüberwacher mittels laufend geführter Unterlagen über das Auditing überwacht. Die große Mehrzahl der Auditingsitzungen findet im Bereich der Kirchen statt, wo es speziell eingerichtete Räume für diese Zwecke gibt, und die Hilfe von Fallüberwachern und anderen für die Planung und Verwaltung dieser religiösen Dienste zur Verfügung steht. Mit der begrenzten Ausnahme von Heimkursen, die darauf ausgelegt sind, eine Person durch die grundlegenden Bücher der Dianetik und Scientology zu führen, findet jede formelle Ausbildung in den Räumen der Kirche unter der Aufsicht ausgebildeter Kursüberwacher statt. Das Auditing einiger der höheren Ebenen, der „OT”-Stufen, wird als „Solo -Auditing” durchgeführt. In diesem Fall folgt ein Scientologe genauen Instruktionen und auditiert sich selbst. Er übernimmt sowohl die Rolle des Auditors als auch die der Person, die das Auditing empfängt. Solo-Auditing wird allerdings nur unter der Leitung einer Fortgeschrittenen Organisation oder der Flag Service Organization durchgeführt, wo die schriftlichen Aufzeichnungen der Auditing-Sitzungen regelmäßig von Fallüberwachern überprüft werden, um sicher zu gehen, daß das Auditing in Übereinstimmung mit den maßgeblichen Schriften stattfindet und daß die erwarteten spirituellen Gewinne erzielt werden. Wenngleich sowohl das Auditing als auch die Ausbildung eher individuelle als Gruppendisziplinen der Andacht in Scientology darstellen, so ist dies doch keineswegs ungewöhnlicher als ein Buddhist, der sich in einem buddhistischen Zentrum unter Anleitung eines spirituellen Meisters in der Meditation übt, oder der rabbinische Student, der in einer Talmudschule unter einem Talmudgelehrten die Thora studiert.

In jedem Fall spielt bei den Anlässen der Andachtshandlung – ob diese privat oder öffentlich, alleine oder gemeinschaftlich stattfindet – das Zentrum der religiösen Verehrung in jeder Religion eine unerläßliche Rolle. Diese Stätten haben unterschiedliche Namen und unterschiedliche Architekturen. Kirche, Synagoge, Moschee, Tempel, Aschram, Schrein – sie alle haben ihr ganz eigenes Aussehen und vermitteln ihr ganz eigenes Gefühl. Ihre religiösen Zielsetzungen und Funktionen sind sich sehr ähnlich. Diese „Andachtsstätten” bieten die heilige Umgebung, in der die jeweiligen „Gottesdienste” einer jeden Religion regelmäßig durchgeführt werden. Wie in jeder Religion haben auch die Scientology Kirchen ihr eigenes, unverkennbares Ambiente. Sie sind aber die Zentren sowohl der privaten als auch der öffentlichen ANDACHTSPRAKTIKEN.

IV.IV. SCHLUSSFOLGERUNG

Aufgrund meiner beruflichen Ausbildung und der oben zusammengefaßten Lehrstudien bin ich davon überzeugt, daß die Scientology eine Gemeinschaft mit Andachtspraktiken ist. Wie es bei einer neuen Religion angebracht ist, sind die Formen der Andacht bei der Scientology Kirche unverwechselbar, gemäß ihres unverwechselbaren Verständnisses der göttlichen und menschlichen Wirklichkeit. Aber, ähnlich wie bei anderen religiösen Traditionen, bezwecken die Andachtspraktiken der Scientology Kirche eine Vertiefung des spirituellen Bewußtseins und die Entwicklung der geistigen Fähigkeiten des einzelnen, der Familie, der Gemeinde, und letztendlich der Welt.

Lonnie D. Kliever, 26. September 1994

Scientology: Eine religiöse Gemeinschaft