Scientology ist in den letzten Jahren zu einem Thema öffentlicher Diskussion geworden. So auch in Finnland, wo aber im Vergleich zu anderen Ländern relativ wenig über die religiöse Natur von Scientology gesagt wurde. In der folgenden Abhandlung konzentriere ich mich auf die Frage, ob Scientology eine Religion ist und auf die Grundlage für diese Schlußfolgerung.
I. KEINE EINDEUTIGE DEFINITION DES RELIGIONSBEGRIFFS
Religionen und Glaubensgemeinschaften gibt es in solch unterschiedlichen Formen, daß die Wissenschaft sich noch nicht auf eine Definition des Religionsbegriffs geeinigt hat. In der finnischen Religionssoziologie wird Religion oft durch fünf Aspekte gekennzeichnet, die von den Amerikanern Glock und Stark wie folgt beschrieben werden:
1. Einen Aspekt der Erweckung (religiöse Gefühle, Wahrnehmungen und Gottesvisionen usw.).
2. Einen ideologischen Aspekt (Ideen von Gott, ewiges Leben, Erlösung).
3. Einen rituellen Aspekt (privates und gemeinschaftliches Praktizieren der Religion, zum Beispiel in Gebeten, Meditationen, Gottesdiensten und religiösen Zeremonien, welche die verschiedenen Abschnitte des Lebens markieren).
4. Einen intellektuellen Aspekt (Wissen über die Glaubensinhalte).
5. Aspekte der Konsequenzen (Erlösung, Seelenfrieden, richtiges Verhalten). Alle Definitionen von Religion gehen davon aus, daß es eine bestimmte Glaubensidee gibt, die, wenn sie befolgt wird, zu einer Harmonie mit dem wichtigsten Sinn des Lebens selbst führt – sei das nun ein einzelner Gott, ein Höchstes Wesen oder die kosmische oder ethische Grundlage des Lebens. Zweitens hat eine Religion religiöse Riten, Rituale und Verhaltensnormen. Drittens braucht eine Religion eine Anzahl von Gläubigen oder Mitgliedern.
II.SCIENTOLOGEN BETRACHTEN SCIENTOLOGY ALS RELIGION
Die Schriften des Gründers der Scientology, L. Ron Hubbard, sind die Grundlage der Scientology-Religion. Hubbard wird nicht angebetet, jedoch geehrt und geachtet. Die Scientologen glauben, daß Hubbard eine religiöse Philosophie und die Möglichkeiten ihrer praktischen Anwendung begründet hat, mit welchen die im Grunde gemeinsamen Ideale der Menschheit und aller Religionen effektiv verwirklicht werden können. Die Scientologen betrachten ihre Religion als die Religion des zwanzigsten Jahrhunderts, die den ewigen Traum der Menschheit, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, realisieren kann und die Menschen dazu führen wird, ihre wahre religiöse Identität zu finden. Hubbard selbst sah Scientology in der Tradition älterer Religionen, einschließlich des Hinduismus, der Veda-Religion, des Taoismus, des Buddhismus, des Judaismus und des Christentums.
III. FÜHRENDE RELIGIONSSOZIOLOGEN BETRACHTEN SIE ALS RELIGION
Fast ohne Ausnahme haben alle Bücher über neue Religionen ein Kapitel über Scientology. Davon seien nur genannt:
Eileen Barker, Professor an der London School of Economics, New Religious Movements: A Perspective for Understanding Society (1982) und New Religious Movements: A Practical Introduction (1989);
Bryan Wilson, Professor Emeritus an der Oxford University: The Social Dimensions of Sectarianism (1990);
J. Gordon Melton: The Encyclopedia of American Religions (1993).
Scientology wird auch in den meisten deutschen Schriften als Religion eingestuft; so im Lexikon der Sekten, Sondergruppen und Weltanschauungen (1991).
Ein gutes Beispiel einer Beschreibung dessen, was Scientology zu einer Religion macht, findet sich in dem Buch von Prof. Bryan Wilson.
IV. VON DER DIANETIK ZU SCIENTOLOGY
Die Dianetik wurde ursprünglich von Hubbard als therapeutisches Verfahren entwickelt. Sie wurde 1950 allgemein bekannt, als Hubbard seinen Bestseller Dianetik: Die moderne Wissenschaft der geistigen Gesundheit veröffentlichte. Das Ziel der Dianetik war es, den Menschen von seinen traumatischen Erlebnissen und den davon aufgezeichneten Erinnerungsbildern, Engramme genannt, zu befreien, damit er einen Zustand, den Hubbard als „Clear“ bezeichnet, erreichen kann.
Fast unmittelbar begann die Dianetik sich zur Scientology zu erweitern, wo spirituelle und metaphysische Aspekte betont werden. Sie basiert auf der Idee, daß der Mensch im Grunde ein geistiges Wesen, ein Thetan, sei. Ziel der Scientology ist es, den Thetan, der sich in Unwissenheit und Materie verstrickt hat, zu dem Bewußtsein über seine spirituelle Natur zurückzuführen.
Keine Religion war vom Beginn ihrer Entstehung an vollständig. Viele haben erst nach Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten zu einer religiösen Identität gefunden. Zum Beispiel dauerte es mehrere Jahrzehnte, bis das theologische Selbstverständnis und die kirchliche Organisation des Christentums eine feste Form annahmen. Es wäre nicht fair zu erwarten, daß Scientology sofort ihre endgültige Form angenommen hat.
V. DIE GOTTLICHKEIT UND DAS EWIGE LEBEN
Scientology sagt wenig über Gott aus. Sie glaubt aber an Gott oder eine göttliche Existenz. Sie fordert nicht unbedingt einen theistischen persönlichen Gott, aber irgendeine Art von Gott, ein Höchstes Wesen, oder wie es Scientology oft ausdrückt „die achte Sphäre des Einflusses oder die Gottes-Dynamik“.
Es sollte angemerkt werden, daß bei weitem nicht alle Religionen der Welt an einen persönlichen Gott glauben; so zum Beispiel ein großer Teil des Hinduismus. Und der Theravada -Buddhismus ist in seiner philosophischen Ausprägung atheistisch. Trotzdem hat er die Stellung einer bedeutenden Religion.
VI. DER MENSCHENBEGRIFF
Eine Grundidee der Scientology ist, daß der Mensch vor allem ein spirituelles Wesen, ein Thetan, eine Art Seele, körperlos und unsterblich, ist, die unbegrenzte Macht und Kraft hat. Dieser Thetan nimmt einen menschlichen Körper an, wenn er zur Welt kommt.
Die Thetanen wurden einst in den Ketten der materiellen Welt gefangen und haben das Wissen über ihr eigentliches Wesen verloren. In dieser Hinsicht erinnert Scientology an Gnostizismus und die Neognostischen Bewegungen, die meist davon ausgehen, daß sie ein verlorengegangenes (oft geheimes) Wissen vom Ursprung des Menschen haben, und daß es ihre Aufgabe ist, dieses ursprüngliche spirituelle und göttliche Bewußtsein wieder zu erwecken, damit der Mensch sogar die Grenze zwischen Leben und Tod frei überschreiten kann.
VII. ERLÖSUNG
Die Scientology lehrt, daß die traumatischen Ereignisse sowohl des jetzigen als auch früher gelebter Leben ein Hindernis zu rationalem Handeln und spiritueller Entwicklung sind. Es ist das Ziel des Scientology-Auditing, den Thetan vom „reaktiven Verstand”, den Ketten der schlechten Erinnerungen, zu lösen, und die Möglichkeit der Erlösung wiederherzustellen. Das Endziel ist ein gottähnlicher Zustand des vollständigen OT (operierender Thetan), in dem der Thetan von allen Beschränkungen dieses Lebens befreit ist.
Wie indische Religionen glaubt die Scientology, daß der Mensch von den vergangenen Taten, die sich in der Kette der zahllosen Wiedergeburten angesammelt haben, befreit werden muß (vergleiche Karma im Hinduismus und Buddhismus). Die scientologische Idee von Erlösung umfaßt sowohl das jetzige als auch zukünftige Leben. In beiden Fällen verspricht Scientology die Brücke zu vollständiger Freiheit.
Abgesehen von der Erlösung des einzelnen, sieht Scientology ihre Aufgabe darin, die ganze Erde zu vervollkommnen und eine Zivilisation zu schaffen, in der es keine Unvernunft, Kriminalität oder Kriege gibt. Im Sprachgebrauch der Scientology ist „Überleben” ein Synonym für Erlösung. Dies umfaßt sowohl das jetzige wie auch das Leben danach. Auditing und das dabei verwendete E-Meter helfen dem Menschen, seine wahre und ursprüngliche Identität zu finden.
VIII. DIE SCIENTOLOGY KIRCHE
Die Scientology Kirche ist eine religiöse Gemeinschaft mit hierarchischer Organisation und Leitung. Auf der untersten Stufe sind die Gemeindeauditoren und die von ihnen geführten Dianetik-Gruppen. Die nächste Stufe sind die Scientology-Missionen, die grundlegende Dianetik- und Scientology-Dienste leisten. Sie sind eine Art von Missionsstellen mit dem Ziel, neue Mitglieder zu gewinnen. Wenn eine Missionsstelle größer wird und ihre Aktivitäten ausbreitet, dann wird sie meistens eine Scientology Kirche. Die Geistlichen der Scientology Kirche helfen ihren Gemeindemitgliedern bei Ehe-, Familien- oder anderen Problemen und leiten die religiösen Zeremonien der Scientology, wie Namensgebung, Hochzeiten und Beerdigungen. Sie halten auch die wöchentliche Sonntagsandacht ab.
Saint Hill-Organisationen sind zentrale Kirchen, die sich auf die Ausbildung von Auditoren höherer Stufen spezialisieren. Solche zentralen Kirchen befinden sich in Los Angeles, Sydney, East Grinstead in England und in Kopenhagen. Das internationale spirituelle Zentrum von Scientology ist die Flag Service Organisation in Clearwater, Florida, wo die höchsten religiösen Dienste gegeben werden. In der Flag Ship Service Organisation, erhält man die höchste Auditing-Stufe (OT VIII). Diese Organisation befindet sich an Bord des Schiffes Freewinds in der Karibik.
Die Funktion der Mutterkirche wird von der Church of Scientology International in Los Angeles ausgeübt, wo z.B. Pläne für die weltweite Missionierung erstellt, Ausbildungsmaterialien zusammengestellt und Hubbards religiöse Werke in viele Sprachen übersetzt werden.
IX. GOTTESDIENSTE
Die Scientology Kirche hat ihre eigenen Gottesdienste mit ihren eigenen Geistlichen, Predigten und einem Glaubensbekenntnis. Im Gottesdienst wird zum Bespiel eine auf Tonband aufgezeichnete Rede von L. Ron Hubbard gehört oder das „Gebet für vollständige Freiheit” vorgetragen.
Ein Kirchenbuch, das von der Mutterkirche in Kalifornien zusammengestellt wurde, enthält auch die Anleitungen für die Zeremonien der Namensgebungen, Hochzeiten und Beerdigungen. Die Namensgebung z.B. wird abgehalten, um dem Thetan, dem geistigen Wesen, zu helfen, sich mit seinem neuen Körper zu identifizieren und um ihm seine Eltern, die Familie und Freunde vorzustellen.
Die Gottesdienste haben aber in der Scientology nicht eine solch zentrale Stellung wie in den herkömmlichen christlichen Kirchen. Es sollte aber auch angemerkt werden, daß die Gottesdienste anderer Religionen ein weites Spektrum umfassen.
Zum Beispiel besuchen gläubige Hindus den Tempel, um dort ihren eigenen Riten nachzugehen und ihre religiösen Leiter um Rat zu fragen, ohne daß gemeinsame Riten für alle durchgeführt werden. Es liegt auch in der Natur der Sache, daß die Gebete in einer Religion, die nicht von der Existenz eines persönlichen Gottes ausgeht, eine andere Bedeutung haben als in einer Religion, in der man an einen persönlichen Gott (oder Götter) glaubt und mit ihm in Kommunikation tritt.
X. SCIENTOLOGY IST EINE RELIGION
Aus dem Vorstehenden muß der Schluß gezogen werden, daß Scientology in seiner gegenwärtigen Form eine Religion ist, die bedeutungsvolle religiöse Dienste, charakteristische Glaubensgrundsätze und eine klar umrissene Organisation umfaßt.
Harri Heino, Tampere, 26. Oktober 1995
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