Religiöse Anerkennungen in Deutschland
In Deutschland war die rechtliche Beurteilung der Scientology Kirche als Religionsgemeinschaft wiederholt Gegenstand von Auseinandersetzungen mit staatlichen Behörden. Diese Auseinandersetzungen gingen in der Regel auf den Einfluss einzelner amtskirchlicher Sektenbeauftragten auf staatliche Behördenvertreter zurück, wobei die Sektenbeauftragten aufgrund ihres Einflusses und ihrer Macht auf Staat, Gesellschaft und Politik wiederholt gezielt diese Konflikte im Verborgenen verursachten, um der Scientology Kirche und ihren Mitgliedern den Schutz der Religionsfreiheit und eine rechtliche Gleichstellung unter Art. 4 Grundgesetz (GG) streitig zu machen.
Die Gerichte haben in diesem Streit in der ganz überwiegenden Mehrheit ihre Neutralität jedoch bewahren können und sich nicht von dem amtskirchlichen Druck einzelner Sektenbeauftragter vereinnahmen lassen, selbst wenn dies auch in ganz wenigen Einzelfällen vorgekommen sein mag. Sie haben der Scientology Kirche und ihren Mitgliedern grundsätzlich den Schutz der Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 und aus Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 der Weimarer Reichsverfassung (WRV) regelmäßig zuerkannt und gewahrt.
Wie die folgenden Zitatstellen zeigen, wurde die Frage, dass Scientology eine religiös-weltanschauliche Lehre darstellt und die Scientology Kirche und ihre Mitglieder den Schutz aus Art. 4 GG in Anspruch nehmen können, seit mehr als einem Vierteljahrhundert immer wieder bejaht. Allerdings scheint dies ebenso wenig allgemein bekannt zu sein wie die Anerkennung von Scientology im Ausland. Auch diesem Informationsmangel soll mit dieser ergänzten Veröffentlichung abgeholfen werden.
Aufgrund der Menge der auszuwertenden Urteile zur Frage der Religionseigenschaft konnten hier jedoch nicht alle durch Zitate erfasst werden. Teilweise musste ein Verweis auf Datum, Aktenzeichen und das verfolgte Rechtsinteresse genügen. Auch sind zahlreiche Urteile in anderen rechtlichen Kontexten (so etwa wiederholt zu Gunsten des benachteiligten Scientology-Elternteils im Kontext des Sorge- und Umgangsrechts vor Familiengerichten) ergangen, die dieselben Feststellungen im Hinblick auf Art. 4 GG getroffen haben und die hier nicht erfasst worden sind.
Die Entscheidungen wurden nach Rechtskategorien (Vereinsrecht, Straßen- und Wegerecht, Arbeits- und Sozialrecht, Strafrecht, Bürgerliches Recht und anderen Fragen des öffentlichen Rechts gegliedert:
A. VEREINSRECHT
Bayerisches Verwaltungsgericht München, Urteil vom 25. Juli 1984, Scientology Kirche Deutschland ./. Landeshauptstadt München wegen Entzug der Rechtsfähig-keit, Az. M 1392 VII 84
“1. Der Schutzbereich des Art. 4 Abs. l und 2 GG erstreckt sich auch auf den Kläger. Der Kläger ist als Religionsgemeinschaft oder zumindest weltanschauliche Gemeinschaft anzusehen.
Anlass und Zweck einer solchen Vereinigung muss eine gemeinsame ‚Religion‘ ihrer Mitglieder sein, d.h. die Vereinigung muss sich auf einen Konsens ihrer Mitglieder über ein außermenschliches Sein, eine außermenschliche Kraft, auf einen ‚Glauben‘ an ein ‚Heiliges‘ gründen, auf Überzeugungen, die dem weltanschaulich-religiös neutralen Staat verschlossen sind. …
Es genügt die Übereinstimmung der Mitglieder der Vereinigung in der Deutung des Lebenssinnes und in der Beantwortung der Fragen nach Ursprung, Sinn und Ziel der Welt und der Berufung der Menschen. Soweit Vereinigungen diese Merkmale auf weisen, sind sie Religions- bzw. Weltanschauungsgemeinschaften im Sinne der verfassungsrechtlichen Bestimmungen…
Legt man diese Ausführungen zugrunde, so kann im vorliegenden Fall eine Religions- bzw. Weltanschauungsgemeinschaft bejaht werden. … Der Kläger bekennt sich dazu, dass der Mensch ein geistiges Wesen ist (…). Dieses geistige Wesen kann höhere Seinsstufen erreichen; dadurch wird es von seinem Körper unabhängig und kann denselben verlassen. Es wird unsterblich (…). Die erkennende Kammer bezweifelt nicht, dass diese Überzeugungen von einer nennenswerten Anzahl von Mitgliedern des Klägers geteilt werden.“
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 25. Juni 1985, Scientology Kirche Deutschland ./. Landeshauptstadt München wegen Entzug der Rechtsfähig-keit, Az. 5 CS 84 A. 2191
“Der Verwaltungsgerichtshof geht nach dem derzeitigen Verfahrensstand davon aus, dass nach dem Selbstverständnis des Antragstellers auch das Auditing wesentlicher Bestandteil der Lehre von Scientology ist und auf dieser Grundlage die tatbestandlichen Voraussetzungen eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebes begrifflich nicht angenommen werden können…”
Landgericht Hamburg Beschluss vom 17. Februar 1988, Celebrity Centre Scientology Kirche Hamburg e.V. wegen Eintragung in das Vereinsregister als Idealverein, Az 71 T 79/85
“Doch sind die möglichen Kriterien einer Kirche im vorliegenden Fall zweifelsfrei erfüllt. … Sicherlich verfügt die Vereinigung über nicht unerhebliche Einnahmen, wie sie einerseits durch Leistungen an Dritte erzielt werden, andererseits durch Leistungen ihrer Mitglieder selbst.
Daraus folgt jedoch noch nicht, dass sie auf Gewinnerzielung gerichtet ist. Das ergibt sich selbst dann nicht, wenn man davon ausgeht, dass die einzelnen Leistungen besonders ‚teuer‘ angeboten werden. Es ist davon auszugehen, dass auch die christlichen Kirchen Deutschlands Gebühren für ihre Handlungen und Preise für ihre Bücher und ähnliches verlangen. Das ist notwendig, weil die anfallenden Kosten zu decken sind. …
Im Falle der Vereinigung, um die es hier geht, müssen die insoweit zu fordernden Entgelte notwendig höher sein, weil sie bei vergleichbarem Kostendruck von Steuergeldern ausgeschlossen ist.“
Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 02. August 1995, Scientology Mission Neue Brücke e.V../. Land Baden-Württemberg wegen Entzug der Rechtsfähigkeit, Az l S 438/94
“Ausweislich seiner Satzung ist der klagende Verein eine Religionsgemeinschaft. Sein Zweck wird als ‚die Pflege und Verbreitung der Scientology Religion und ihrer Lehre‘ beschrieben. Die Scientology Kirche sieht es ‚als ihre Mission und ihre Aufgabe an, den Menschen Befreiung und Erlösung im geistig-seelischen Sinn zu vermitteln, wobei sie eine Verbesserung möglichst vieler und zahlreicher Mitglieder in sittlicher, ethischer und spiritueller Hinsicht bewirken will…‘ (§ 2 Ziff. l der Satzung). …“
Nach dem Wortlaut dieser Satzungsbestimmungen hat der klagende Verein keine wirtschaftliche, sondern eine ideelle Zielsetzung im Sinne von § 21 BGB, die ’nicht in erster Linie‘ mit Hilfe eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebes verwirklicht werden soll…
Deshalb ist die Vorschrift des § 43 Abs. 2 BGB im Lichte der Bedeutung des Grundrechts aus Art. 4 GG auszulegen und anzuwenden.“
„Die Aktivitäten des Klägers würden auch von den verfassungsrechtlichen Vorgaben aus Art. 140 GG in Verb. mit Art. 137 Abs. 3 WRV erfasst. Danach haben die Religionsgemeinschaften das Recht, ihre Angelegenheiten innerhalb der für alle geltenden Gesetze selbständig zu ordnen und zu verwalten…. Dem innerkirchlichen Bereich zuzurechnen ist das Recht der Religionsgemeinschaften, ihre Finanzierung selbst zu regeln (…). Es obliegt der Religionsgemeinschaft, selbst darüber zu entscheiden, wie ihre Finanzierung ausgestaltet sein soll.“
Verwaltungsgericht Stuttgart, Urteil vom 17. November 1999, Scientology Gemeinde Baden-Württemberg e.V. ./. Land Baden-Württemberg wegen Entzug der Rechtsfähigkeit, Az 16 K 3182/98
„Der Kläger als Verein kann nicht losgelöst werden von seinen Mitgliedern und deren Überzeugungen. In diesen Überzeugungen und den daraus resultierenden Aktivitäten der Mitglieder kommt der Zweck des Vereins zum Ausdruck, mit anderen Worten die Überzeugungen der Mitglieder bilden den Vereinswillen und ihre von diesen Überzeugungen getragenen Aktivitäten das maßgebliche Gesamtgebaren. Es kommt somit auf die Überzeugung der Mitglieder an und nicht auf den Willen des Klägers.“
“…wonach ‚Suchende‘ über verschiedene Erkenntnisstufen den Glauben an die Wiedergeburt erlangen – ebenso, wie dies von Scientology als ‚angewandter religiöser Philosophie‘ als Ziel angestrebt wird. … Es wäre nach Überzeugung des Gerichts auch lebensfremd anzunehmen, dass Personen Mitglied bei einer Scientology Organisation wie dem Kläger werden und es auch bleiben, ohne sich mit den Grundlagen von Scientology auseinander zu setzen.“
In der Berufungsinstanz wies der VGH Baden-Württemberg die Berufung des Landes unter Bestätigung der obigen Rechtsauffassung rechtskräftig mit Urteil vom 12.12.2003 (Az. 1 S 1972/00) mit folgenden Worten ab:
„Das Verwaltungsgericht hat festgestellt, dass die Mitglieder des Klägers die von diesem angebotenen Leistungen in Anspruch nehmen, um im Sinne der Scientology Lehre auf dem durch die vorgelegte „Brücken-Karte“ vorgezeichneten Heilsweg höhere Daseinsstufen zu erlangen.“
„Das Verwaltungsgericht ist aufgrund der im Verfahren gewonnenen Erkenntnisse zu der Überzeugung gelangt, dass die Mitglieder des Klägers die von diesem angebotenen Leistungen in Anspruch nehmen, um – im Sinne der Scientology-Lehre – auf dem durch die vorgelegte „Brücken-Karte“ vorgezeichneten Weg höhere Daseinsstufen zu erlangen. Der Senat schließt sich dieser Beurteilung und der hierfür gegebenen Begründung (S. 7-10 des Entscheidungsabdrucks) in vollem Umfang an.“
„Unabhängig davon sind die diesbezüglichen Behauptungen, mit denen letztlich geltend gemacht wird, die Scientology-Lehre werde von der Organisation nur als Vorwand für eine ausschließliche wirtschaftliche Zielsetzung benutzt, nicht zur Überzeugung des Senats erwiesen. Dies gilt vor allem mit Blick auf mittlerweile vorliegende wissenschaftliche Untersuchungen, die sich auch mit der wirtschaftlichen Betätigung von Scientology befasst haben.“
„Nach den für die Scientology-Organisation verbindlichen Vorgaben des Gründers Hubbard dienen die verschiedenen scientologischen Organisationen nicht einer reinen Vermarktung von bestimmten Erzeugnissen, sondern sind sie darauf ausgerichtet, möglichst viele Menschen auf die sog. „Brücke zur totalen Freiheit“ und damit zum Zustand als unsterbliches geistiges Wesen zu bringen.“
„Lediglich ergänzend weist der Senat daraufhin hin, dass der Mutterkirche und den ihr nachgeordneten Organisationen in den USA nach langjährigen Verfahren von der dortigen Steuerbehörde Steuerbefreiung wegen religiöser bzw. karitativer Betätigung zuerkannt worden ist.“
Dieselben Fragen mussten vom Bayer. VGH in dem Fall des Celebrity Centre Scientology Kirche München e.V. ./. Stadt München im Jahre 2005 erneut entschieden werden. Mit Urteil vom 2.11.2005 (Az. 4 B 99.2582) kam der Bayer. VGH zu identischen Feststellungen wie der VGH Baden-Württemberg, wie die folgenden Zitate zeigen:
„Der Kläger verfolgt nach der alten wie auch der neuen Satzung einen idealen Zweck, nämlich die Verbreitung des Ideengutes der Scientology Kirche als deren Mission unter Zugrundelegung ihres Glaubensbekenntnisses. Das vom Vereinswillen getragene Gesamtgebaren des Klägers lässt keine von dem Satzungszweck abweichende, über das Nebenzweckprivileg hinausgehende wirtschaftliche Betätigung im Sinne des Vereinsrechts erkennen.“
„In Übereinstimmung mit dem Bundesverwaltungsgericht, das von der gemeinsamen Überzeugung der Mitglieder spricht, und dem VGH Baden-Württemberg, der zu Recht betont, dass der Vereinswille nicht losgelöst von den Überzeugungen seiner Mitglieder bestimmt werden kann, schließt der Senat dies zum einen aus den im Verfahren vorgelegten „Bekenntnissen“ der Vereinsmitglieder. Die Mitglieder des Klägers sehen im Kern übereinstimmend ihre Zugehörigkeit zu Scientology unter spirituellen, geistigen und religiösen Aspekten.“
Das Verwaltungsgericht Ansbach bestätigte mit rechtskräftigem Urteil vom 13. Nov. 2008 als letztem mit der Frage (der ideellen nicht-wirtschaftlichen Zielsetzung der Scientology Kirche) befasstem Gericht die obigen Feststellungen erneut und endgültig (Az. AN 16 K 06.03463).
B. STRASSEN- UND WEGERECHT
Amtsgericht Stuttgart, Urteil vom 30. Januar 1985, Ordnungswidrigkeits-Sache wegen Verstoß gegen das Straßen- u. Wegerecht, Az B 33 OWi 9306/84
“Diese Kirche ist nach ihrem Selbstverständnis eine Erlösungsreligion, die sich mit der Seele des Menschen und der Rätsel des Lebens befasst und sich in ihrer geschichtlichen Tradition im Buddhismus, Hinduismus und anderen religiösen Richtungen verwurzelt sieht. Ihre irdische Aufgabe sieht sie darin, den Menschen in seiner Ausrichtung auf geistige Befreiung bei der Bewältigung von Problemen und Belastungen bis zur völligen Freiheit davon behilflich zu sein, um durch Selbsterkennung und Erfahrung seiner selbst als geistiges Wesen sowie eines Schöpfers bewusster zu leben und Zufriedenheit und Glückseligkeit zu erlangen. Der Weg dorthin, der den Menschen gleichzeitig zu einem Verständnis von Gott als dem höchsten Wesen bringt, vollzieht sich in mehreren Stufen geistiger Vervollkommnung durch vielfältige Studien, Kurse, Seminare, Auditing, einer Art seelsorgerischer Beratung, die dem Individuum hilft, die nach Auffassung der Religionsgemeinschaft erstrebenswerten geistigen Ziele zu erreichen.“
Verwaltungsgericht Berlin, Urteil vom 12. Oktober 1988, Scientology Kirche Berlin ./. Land Berlin wegen Sondernutzungserlaubnis, Az l A 73.86, NJW 1989, 2559 ff
S. 8: „Der Beklagte hat jedoch … gegen das aus Art. 4, 140 GG, Art. 137 WRV für den Staat folgende Gebot weltanschaulich religiöser Neutralität (BVerfGE…) und den Grundsatz der Parität der Kirchen und Bekenntnisse (BVerfGE…) verstoßen. Bei dem Kläger handelt es sich um eine Vereinigung, die nach der von ihr gegebenen Selbstdarstellung die Ausübung von Religion bzw. Weltanschauung zum Gegenstand hat.“
S. 10: „Es liegt auf der Hand, dass kleine weltanschauliche Gemeinschaften wie der Kläger ihre Betätigung anders finanzieren müssen als die großen etablierten Kirchen, die über ein erhebliches Steueraufkommen verfügen…. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, dass die erzielten Einnahmen letztlich der religiösen/weltan¬schaulichen Betätigung zugute kommen und nicht insoweit zweckentfremdet werden.“
S. 11: „Wie die meisten Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften spricht auch der Kläger nach seinem Selbstverständnis den Menschen als Ganzes, als Einheit von Seele und Leib an.“
Verwaltungsgericht Frankfurt, Urteil vom 4. September 1990, Scientology Mission Frankfurt./. Stadt Frankfurt wegen Sondernutzungserlaubnis, Az IV 2 E 2234/86
S. 15: „Zu Recht geht der Kläger allerdings davon aus, dass ihm grundsätzlich der Schutz der grundgesetzlich gewährleisteten Religionsfreiheit zusteht. Denn bei der Scientology Kirche handelt es sich nach der Auffassung der erkennenden Kammer um eine von Art. 4 Abs. 1. 140 GG i.V.m. Art. 137Ans. 2, Abs. 7 WRV geschützte Religions- bzw. Weltanschauungsgemeinschaft.“
S. 20: “Gemessen an diesen aus der Verfassung sich ergebenden Maßstäben ist der Kläger nach Auffassung der Kammer als eine Religions- bzw. Weltanschauungsgemeinschaft i.S.d. Art. 140 GG i. V. m. 137 Abs. 2, Abs. 7 WRV anzusehen, der das in Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG gewährleistete Grundrecht auf Religionsfreiheit grundsätzlich für sich in Anspruch nehmen kann.“
Amtsgericht Hannover, Urteil vom 19. September 1990, Ordnungswidrigkeits-Sache wegen Verstoß gegen das Niedersächsische Straßengesetz, Az. 260-347/90
„Das Grundrecht auf Freiheit der religiösen und weltanschaulichen Erkenntnisse sowie der Religionsausübung steht, wie sich dies aus seinem weitgefassten Wortlaut ergibt, nicht nur den christlichen Kirchen zu, sondern allen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften sowie sonstiger Vereinigungen, die sich die Pflege des religiösen oder weltanschaulichen Lebens ihrer Mitglieder zum Ziel gesetzt haben, sofern sie sich im Rahmen gewisser übereinstimmender sittlicher Grundanschauungen der heutigen Kulturvölker halten
„Der Begriff der Religionsausübung ist, wie das Bundesverfassungsgericht rechtsgrundsätzlich entschieden hat, gegenüber seinem historischen Inhalt extensiv auszulegen, weil er zentrale Bedeutung für jeden Glauben und jedes Bekenntnis hat. Zur Religionsausübung gehören danach nicht nur kultische Handlungen sowie Beachtungen religiöser Gebräuche wie Gottesdienst, Sammlung kirchlicher Kollekten, Gebete, Empfang der Sakramente, Zeigen von Kirchenfahnen und Glockengeläute, sondern auch andere Äußerungen des religiösen und weltanschaulichen Lebens, insbesondere missionarische Tätigkeiten, die der Werbung für den eigenen Glauben dienen. Hierauf berufen sich die Anhänger der Scientology Gemeinde zu Recht.“
Amtsgericht Freiburg, Urteil vom 6. Februar 1996 in einer OWi-Sache wegen Verstoß gegen das baden-württembergische Straßenrecht, Az. 23 OWi 644/95a
„Unter keinen Umständen kann hingenommen werden, dass der ‚Scientology‘ eine Berufung auf Artikel 4 Abs. 2 Grundgesetz (zumindest als Weltanschauungsgemeinschaft) allein mit der Begründung verwehrt wird, sie biete Bücher und Dienstleistungen (Seminare etc.) gegen Entgelt an. In diesem Punkt unterscheidet sich ‚Scientology‘ in keiner Weise etwa von Vorstellungen und Verhaltensweisen der Großkirchen, die überdies noch den Vorteil des Kirchensteuereinzugs haben.
Allen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften muss prinzipiell die Möglichkeit gegeben werden, entsprechende Einnahmen sowohl zur Finanzierung der laufenden Tätigkeit als auch zur Finanzierung des den meisten Religionen und Weltanschauungsgemeinschaften innewohnenden Missionsgedankens zu erzielen. … Im übrigen kann zu der Frage Weltanschauungsgemeinschaft oder Gewerbebetrieb bei ‚Scientology‘ auf die ausführlichen Gründe in den Entscheidungen etwa des Oberverwaltungsgerichts Hamburg BSIII326/93 vom 24.8.1994, des Verwaltungsgerichts Frankfurt IV/2 E 2234/86 vom 4.9.90 und des Verwaltungsgerichts Berlin IA 73,86 vom 12.10.1988 verwiesen werden, wo diese Fragen eindrucksvoll und ohne geistige Voreingenommenheit erörtert werden. …“ „Insoweit darf ‚Scientology‘ nicht anders behandelt werden als andere Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften, für die – soweit erkennbar – noch niemals in vergleichbaren Fällen die Notwendigkeit einer Sondernutzungserlaubnis bejaht wurde. Es ist immer wieder ein Zeichen geistiger Unfreiheit und ideologischer Bevormundung und letztlich Willkür, wenn Verbotsnormen hervorgeholt werden, um damit Zielsetzungen zu verfolgen, die mit dem eigentlichen Regelungsinhalt der Normen nichts mehr zu tun haben. Auch im vorliegenden Fall ist ganz offensichtlich, dass es nicht um den ‚Straßenverkehr‘ geht, sondern allein um eine Missbilligung von ‚Scientology‘. Es muss Aufgabe der Justiz bleiben, dieser Verfahrensweise entgegenzutreten.“
Die folgenden Verwaltungsgerichte hatten ebenfalls im Zusammenhang mit dem Strassen- und Wegerecht der jeweiligen Bundesländer den Anspruch der Scientology Kirche auf Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis unter Verweis auf Art. 4 GG bejaht oder die Behörden zur Gewährung einer derartigen Erlaubnis verpflichtet:
– Oberverwaltungsgericht Hamburg, Entscheidung vom 12.7.2002, Az. 2 Bs 230/02 in Sachen Scientology Kirche Hamburg ./. Freie und Hansestadt Hamburg wegen Sondernutzungerlaubnis
– Bayerisches Verwaltungsgericht München, Entscheidung vom 26.03.2003, Az M 2 E 03.1266, Church of Scientology International ./. Landeshauptstadt München wegen Sondernutzungserlaubnis
– Oberverwaltungsgericht Hamburg, Entscheidung vom 22.04.2003, Az. 2 Bs 170/03, Church of Scientology International ./. Freie und Hansestadt Hamburg/Bezirksamt Hamburg-Mitte wegen Sondernutzungserlaubnis
– Verwaltungsgericht Berlin, Entscheidung vom 29.06.2006, Az. 1 A 145.06, Scientology Kirche Berlin e.V. ./. Land Berlin Bezirk-Mitte wegen Sondernutzungserlaubnis
– Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht, Urteil vom 5.08.2008, Az. 3 A 37/07, Scientology Kirche Hamburg ./. Stadt Rendsburg wegen Sondernutzungserlaubnis
C. ANDERE FRAGEN DES ÖFFENTLICHEN RECHTS
Verwaltungsgericht Frankfurt/Main, Beschluss vom 27.08.1980, in Sachen X./. BRD wegen Freistellung vom Zivildienst, Az. II/2-H 2884/80
S. 8: “… Bereits dieser Glaube an eine Offenbarung schließt – wie schon das Verwaltungsgericht Darmstadt in einem Parallelverfahren zutreffend ausgeführt hat (vgl. NJW 1979, 1056) – die Auffassung der Antragsgegnerin aus, dass es sich bei der Scientology Kirche lediglich um eine angewandte Philosophie – weltanschaulicher Prägung handele….
Es muss im vorliegenden Zusammenhang auch als unerheblich angesehen werden, dass die Glaubensinhalte und religiösen Praktiken der Scientology Kirche in wesentlichen Punkten wie beispielsweise der Gottesvorstellung, dem pastoralen Beratungsverfahren (Auditing) und dem Einsatz des sogenannten Hubbard-Elektrometers nicht denen der beiden großen christlichen Konfessionen entsprechen.“
S. 13: “Im Hinblick auf Art. 4 Abs. l GG muss es auch als unerheblich angesehen werden, ob eine Religionsgemeinschaft – wie hier die Scientology Kirche Deutschland – von staatlichen Institutionen negativ beurteilt wird.“
Oberverwaltungsgericht Hamburg, Beschluss vom 24.8.1994, Scientology Kirche Hamburg ./. Freie und Hansestadt Hamburg, Az OVG Bs III 326/93 wegen Untersagung von Äußerungen, NVwZ 1995,498:
In dem obigen Beschluss untersagte das OVG Hamburg der Stadt Hamburg eine Reihe von polemischen Äußerungen und negativen Bewertungen von Inhalten der Scientology Lehre unter Verweis auf den Schutzanspruch der Scientology Kirche aus Art. 4 GG und dem staatlichen Neutralitätsgebot mit den folgenden Worten:
„a) Der Antragsteller kann sich nicht nur auf den Schutz des Art. 2 Abs. l GG berufen, der ihm das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit nur unter einem dreifachen Vorbehalt gewährt, nämlich dem der Rechte anderer, dem der verfassungsmäßigen Ordnung und dem des Sittengesetzes. Es kommt in Betracht, dass ihm der Schutz auch des Art. 4 GG zusteht, der gegenüber Art. 2 Abs. l GG als lex specialis einen weiterreichenden, wenn auch keinen schrankenlosen Schutz gewährt (…). Die eigenen Angaben des Antragstellers sprechen dafür, dass ihn seine Lehre zu einer Weltanschauungsvereinigung im Sinne von Art. 4 GG macht. Ebenso sprechen dafür Äußerungen Außenstehender, nicht zuletzt auch Äußerungen, auf die sich die Antragsgegnerin im vorliegenden Verfahren stützt“
Oberverwaltungsgericht Hamburg, Urteil vom 17.6.2004, Az 1 Bf 198/00 in der Sache Mitglied M.K. ./, Stadt Hamburg wegen Unterlassung der Verbreitung des sog. „Sektenfilters“ (von der Behörde auch „Technologieerklärung“ genannt):
„Die Klägerin kann für ihren Glauben an die scientologische Lehre bzw. ihre Weltanschauung den Schutz des Art. 4 Abs. 1GG in Anspruch nehmen. Gemäss Art. 4 Abs. 1 GG ist die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Verständnisses [„BEKENNTNISSES“] unverletzlich.
Das Gedankengebäude der Scientology-Organisation befasst sich mit transzendenten Inhalten und der Stellung und Bedeutung des Menschen in der Welt. Werden die Lehren von L. Ron Hubbard über die unsterbliche Seele als Träger einer Lebensenergie (THETA) und als THETAN sowie ihr Verhältnis zu dem als MEST bezeichneten Materiellen Universum und des Weges der durch unzählige Leben gewandelten Seele geglaubt, sowie der an Erlösungsstufen erinnernde Weg zu höheren Daseinsstufen (CLEAR und [OPERATING] THETAN) verinnerlicht, so liegt darin eine Weltanschauung oder ein religiöses Bekenntnis.“
Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat diese Beurteilung mit Urteil vom 15.12.2005 rechtskräftig bestätigt (Az. 7 C 20.04) und verwarf die Revision der Stadt Hamburg als unbegründet mit den Worten:
„Die Klägerin kann für ihre Betätigung als Scientologin den Schutz des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses nach Art. 4 Abs. 1 GG in Anspruch nehmen. … Das Oberverwaltungsgericht hat der Sache nach festgestellt, die Lehren von L. Ron Hubbard bestimmten die Ziele des Menschen, sprächen ihn im Kern seiner Persönlichkeit an und erklärten auf eine umfassende Weise den Sinn der Welt und des menschlichen Lebens. Es hat hierfür beispielhaft verwiesen auf die Lehren von L. Ron Hubbard über die unsterbliche Seele als Träger einer Lebensenergie, die sich durch unzählige Leben wandele, sowie über den an Erlösungsstufen erinnernden Weg zu höheren Daseinsstufen als Ziel des menschlichen Daseins. Das Oberverwaltungsgericht hat zutreffend angenommen, derartige Aussagen der scientologischen Lehre seien geeignet, den Begriff des Glaubens oder der Weltanschauung zu erfüllen.“
Weitere Entscheidungen der Hamburger Verwaltungsgerichte ergingen in den Jahren 2006-2008 in einem ähnlich gelagerten Fall bezüglich eines anderen Mitglieds der Scientology Kirche in Hamburg, um die Verletzung seines Grundrechts aus Art. 4 GG zu unterbinden:
Die Leitsätze der oben zitierten Grundsatzentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts wurden von der Hamburger AGS-Stelle trotz erneuter Untersagungsbeschlüsse des VG und OVG Hamburg in den Jahren 2006 und 2007 weiterhin ignoriert. Erst die Auferlegung eines Ordnungsgeldes durch das Verwaltungsgericht Hamburg am 27. Juni 2008 in Höhe von 5.000 EURO gegen die Hamburger Innenbehörde wegen Missachtung der gerichtlichen Entscheidungen konnte die AGS-Stelle der Innenbehörde eines Besseren belehren (VG Hamburg 27.6.2008, Az. 9 V 53/08). Konkret und unmissverständlich heißt es in der Entscheidung des VG Hamburg zu den Grundrechtseingriffen in Art. 4 GG:
„Nach Art und Umfang liegt eine schwerwiegende Zuwiderhandlung vor. Immerhin handelt es sich um einen durch nichts gerechtfertigten Grundrechtseingriff. Die Verbreitung über das Medium Internet stellt wegen der damit verbundenen enormen Breitenwirkung die nahezu schwerste Verletzungsform dar. Mit 1 ½ Jahren ist die Dauer der Verletzungshandlung erheblich und der dem Antragsteller dadurch möglicherweise zugefügte Schaden kaum gutzumachen (so schon HmbOVG im Beschluss v. 19.12.2007). …
Besonders schwer wiegt hierbei die Tatsache, dass der Antragsgegnerin spätestens seit dem Urteil des BVerwG vom 15.12.2005 (7C 20/04) bekannt war, dass die Herausgabe der Technologie-Erklärung an Dritte mangels einer Rechtsgrundlage generell und ausnahmslos rechtswidrig ist. …
Der Umstand, dass die Antragsgegnerin gleichwohl in vollem Bewusstsein um den Unrechtsgehalt ihres Verhaltens weiterhin gegen die vom Bundesver-waltungsgericht festgestellte Unterlassenspflicht verstoßen und sogar noch eine gesonderte Unterlassungsverfügung herausgefordert hat, ist bereits für sich genommen ein bedenklicher Vorgang, weil er die grundsätzlich geltende Vermutung, man könne von einer Behörde die Befolgung gerichtlicher Entscheidungen bzw. generell rechtstreues Verhalten auch ohne gesonderte Verpflichtung erwarten, widerlegt und damit das Vertrauen in staatliche Institutionen generell zu untergraben geeignet ist.
Weiterhin stellt es eine ungewöhnliche Sorglosigkeit dar, wenn die Antragsgegnerin in mehreren Gerichtsverfahren über zwei Instanzen hinweg ebenso vollmundig wie letztlich unzutreffend behauptet hat, ihren Unterlassungspflichten nachgekommen zu sein….
„Auf jeden Fall wird aus dem gesamten Verhalten der Antragsgegnerin deutlich, dass es einer spürbaren Beeinflussung ihres wider-strebenden Willens bedarf, um sie zur Kenntnisnahme und schließlich auch zur Einhaltung ihrer Pflichten zu bewegen.
Denn offenbar glaubt die Antragsgegnerin sich damit begnügen zu dürfen, stets erst dann zu (re)agieren, wenn ihr eine Zuwiderhandlung nachgewiesen wurde und eine gerichtliche Sanktion droht. Diese verfehlte Einstellung lässt – wie in der Vergangenheit – weitere Zuwiderhandlungen ernsthaft befürchten, zumal die Einlassungen der Antragsgegnerin keinerlei Einsicht in die Rechtswidrigkeit ihres Verhaltens erkennen lassen.
Deshalb durfte das Ordnungsgeld, um eine nachhaltige Einwirkung auf das künftige Verhalten der Antragsgegnerin zu erzielen (bzw. dienstaufsichtliche Maßnahmen anzuregen), nicht im unteren Bereich angesiedelt werden.“
D. ARBEITS- UND SOZIALRECHT
Sozialgericht Nürnberg, Urteil vom 19. Januar 2000, Scientology Kirche Bayern e.V../. Bundesanstalt für Arbeit wegen Abgaben nach dem Schwerbehindertengesetz, Az. S 13 AL 57/97.
S. 12: „Zudem findet auf den vorliegenden Fall nach Überzeugung des erkennenden Gerichtes auch § 7 Abs. 2 Nr. 2 SchwbG Anwendung, der bestimmt, dass als Arbeitsplätze nicht die Stellen gelten, auf denen Personen, deren Beschäftigung nicht in erster Linie ihrem Erwerb dient, sondern vorwiegend durch Beweggründe karitativer oder religiöser Art bestimmt sind, beschäftigt werden…“.
„… Die Aufnahme in die Scientology Kirche Bayern e. V. erfolgt nur, wenn entsprechende religiöse Ideen dieser Kirche bejaht werden. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die tätigen Mitglieder eine solche Erklärung in Täuschungsabsicht nur als Vorwand abgeben.
Im Übrigen bestimmt sich ein Verein auch durch die Überzeugung seiner Mitglieder. Der Kläger als Verein kann nicht losgelöst werden von seinen Mitgliedern und deren Überzeugung. In diesen Überzeugungen und den daraus resultierenden Aktivitäten der Mitglieder kommt der Zweck des Vereins zum Ausdruck. Mit anderen Worten, die Überzeugungen der Mitglieder bilden den Vereinswillen und ihre von diesen Überzeugungen getragenen Aktivitäten das maßgebliche Gesamtgebaren. Das bedeutet, aufgrund der Überzeugungen seiner Mitglieder unterfällt der Verein als solcher, d.h. die Scientology Kirche Bayern e. V., der Bestimmung des § 7 Abs. 2 Nr. 2 SchwbG. „
(Anmerkung: § 7 Abs. 2 Nr. 2 des SchwbG nimmt jene Personen von der Anwendung des Gesetzes aus, „deren Beschäftigung nicht in erster Linie ihrem Erwerb dient, sondern vorwiegend durch Beweggründe karitativer oder religiöser Art bestimmt ist“).
Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 26. September 2002, in Sachen eines Ex-Mitglieds ./. Scientology Kirche Berlin wegen Nachforderung von Arbeitsentgelt, Az 5 AZB 19/01
S. 7: “Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist unzulässig. „
S.9: “Nach den getroffenen Vereinbarungen stand der Kläger in einer vereinsrechtlichen Beziehung zum Beklagten und nicht in einem Arbeitsverhältnis. Ein Arbeitsvertrag wurde weder ausdrücklich noch konkludent geschlossen. „
S. 10: “3. Aus der fachlichen Bindung an die Grundsätze der Scientology Gemeinschaft kann nicht auf ein Arbeitsverhältnis geschlossen werden. Diese Bindung ist gerade Ausfluss des Vereinszwecks.“
“Der Kläger verfolgte mit seiner Tätigkeit beim Beklagten keine Erwerbsabsichten, sondern ideelle Ziele und strebte die eigene geistige Vervollkommnung im Sinne der Lehren von Scientology an. Während seiner Mitgliedschaft in dem beklagten Verein teilte der Kläger die spirituellen Vorstellungen von Scientology vom Erreichen bestimmter Erlösungsstufen und wurde zur eigenen geistigen Vervollkommnung und Weitergabe der ‚Lehre‘ tätig. Er verfolgte in erheblichem Umfang eigene Ziele, indem er versuchte, auf der „Brücke“ voranzukommen und die Erlösungsstufen „Clear` und „Operating Thetan“ zu erreichen.“
„Sollte der Beklagte [Scientology Kirche Berlin] tatsächlich ein wirtschaftlicher Verein und keine Religionsgemeinschaft sein, wie der Senat in dem Beschluss vom 22. März 1995 (aaO) angenommen hat, könnte ihm nach § 43 Abs. 2 BGB in einem Verwaltungsverfahren die Rechtsfähigkeit entzogen werden (vgl. dazu BVerwG 6. November 1997 aaO).“
Das Gericht distanzierte sich in dem oben zuletzt genannten Absatz von seiner früheren entgegengesetzten Entscheidung aus dem Jahre 1995 unter Verweis auf ein zur Scientology Kirche ergangenes Grundsatzurteil des Bundesverwaltungsgerichts vom November 1997, auf dessen Grundlage diverse Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichte zwischen 1999 und 2008 rechtskräftig die Verfolgung wirtschaftlicher Ziele verneint und die Verfolgung religiös-ideeller Ziele bejaht haben (siehe dazu oben Kategorie „A. Vereinsrecht“).
E. BÜRGERLICHES RECHT
Landgericht Frankfurt – Urteil vom 07. Juni 1989, Ex-Mitglied ./. Scientology Mission Frankfurt wegen Rückforderung von Spendenbeiträgen, Az 2/4 O 471/88
S. 6: “Der Kläger erhielt die Auditing-Stunden als Mitglied des Beklagten, einer Religionsgemeinschaft i.S. des Grundgesetzes. Diese Auditings unterliegen als – nach dem Selbstverständnis des Beklagten – zentraler Punkt der geistig-religiösen Praxis und seelsorgerischen Heilsvermittlung in der Scientology dem grundrechtlich geschützten Bereich.“
“Die Kammer geht mit der in Praxis und Lehre verbreiteten Ansicht davon aus, daß es sich bei der Scientology Kirche, bzw. ihren juristisch selbständigen Gliedern, also auch dem Beklagten, um eine Religionsgemeinschaft i.S. des Grundgesetzes handelt, da die Kirche über einen umfangreichen Bestand religiöser Lehren über das Wesen und die Bestimmung des Menschen in seiner Beziehung zu Gott verfügt. Bei der Würdigung dessen, was im Einzelfall als Ausübung von Religion und Weltanschauung zu betrachten ist, darf nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (E 24, 236, 247) das Selbstverständnis der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaft nicht außer Betracht bleiben.“
S. 11: “Das Auditing greift nicht in den Bereich von Heilkunde ein. Es hat seinen Ursprung in der grundgesetzlich geschützten, religiösen Anschauung des Beklagten und ist zentraler Punkt der geistig/religiösen Praxis und seelsorgerischen Heilsvermittlung in der Scientology. Wie die meisten Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften spricht der Beklagte nach seinem Selbstverständnis den Menschen als Ganzes, als Einheit von Leib und Seele an. Damit verbindet sich grundsätzlich auch die Verheißung positiver Veränderungen im körperlichen oder seelischen Bereich – sozusagen als Nebenprodukt – für die Mitglieder, die nach den Vorschriften des Beklagten handeln und von dessen angebotenen Hilfeleistungen Gebrauch machen. Dadurch werden Veranstaltungen wie das Auditing jedoch nicht zu einer medizinischen Heilbehandlung; vielmehr entziehen sie sich als Bestandteil des religiösen/weltanschaulichen Bekenntnisses mit einer entsprechenden Betätigung einer wissenschaftlichen Bewertung.“
Landgericht München I, Urteil vom 30. März 1993, in Sachen eines Ex-Mitglieds ./. Scientology Mission wegen Rückforderung von Spendenbeiträgen, Az 23 O 4805/92
S. 7: “b) Vielmehr muss bei der Bewertung der Beziehungen der Parteien berücksichtigt werden, dass es sich bei dem Beklagten um eine Religionsgemeinschaft i.S. des Grundgesetzes handelt und die vom Kläger in Anspruch genommenen Leistungen nach dem Selbstverständnis des Beklagten – wie auch für den Kläger aus den ihm überlassenen Unterlagen ersichtlich – zentraler Punkt der geistig-religiösen Praxis waren. Damit sind jedoch die vom Kläger erbrachten – als Spenden bezeichneten – Zahlungen nicht allein in erwerbswirtschaftlichen Kategorien zu erfassen, sondern auch als Beiträge zur Finanzierung der gesamten Vereinigung zu werten.“
Landgericht Hamburg, Beschluss vom 05. Januar 1998, in Sachen eines Ex-Mitglieds ./. SK Hamburg wegen Rückforderung von Spendenbeiträgen, Az 330 O 169/97
S. 3: “Der Beklagte ist als Religionsgemeinschaft anerkannt, seine Finanzierung über Spendenbeiträge begründet nach allgemeiner Ansicht (dazu zuletzt das Bundesverwaltungsgericht Pressemitteilung vom 06.11.1997 ) keinen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb.
Bei der Bewertung der den Mitgliedern angebotenen religiösen Leistungen muss – auch vor dem Hintergrund der in Art. 4 GG gewährten Religionsfreiheit – berücksichtigt werden, dass sich der Beklagte, anders als die Kirchengemeinschaften, die sich u.a. über Steueraufkommen finanzieren können, ausschließlich über Spenden der Mitglieder finanzieren muss. “ ?
Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg Urteil vom 7.3.2008, Az 1 U 99/03 in Sachen Scientology Kirche Deutschland und Scientology Kirche Hamburg ./. Land Hamburg wegen Amtshaftung (Schadensersatz):
Das OLG Hamburg verurteilte die Stadt Hamburg auf Ersatz der anwaltlichen Kosten auf Seiten der Kläger, die diese wegen der Verbreitung unwahrer und polemischer Äußerungen seitens der Hamburger AGS-Leiterin Caberta an die Hamburger Presse erlitten hatten. In seinen Urteilsgründen verwies das OLG Hamburg auf die einer staatlichen Behörde obliegenden besonderen Pflichten gegenüber der Scientology Kirche als Weltanschauungsgemeinschaft im Sinne des Art. 4 GG mit folgenden Worten:
Zunächst stellte das Gericht fest, dass es sich bei den in Frage stehenden Äußerungen von Caberta
„um rechtswidrige Eingriffe in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der Kläger als Weltanschauungsgemeinschaft [handelt].“
Weiter verwies das Gericht auf die klaren von Verfassungswegen vorgegebenen Grenzen bei staatlichen Äußerungen einer Behörde über eine Religionsgemeinschaft mit den folgenden Worten:
„Insbesondere hat sie ehrverletzende Äußerungen zu unterlassen, die über die reine Information hinaus in die grundrechtlich geschützte Rechtssphäre der Kläger eingreifen. Eine staatliche Stelle unterliegt, wenn sie sich warnend über das Wirken bestimmter Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften äußert, im Interesse des betroffenen Grundrechtsträgers der Pflicht zur Zurückhaltung, Mäßigung und Sachlichkeit. Es gilt das Gebot der Neutralität und Toleranz, stets ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten. Schmähkritik ist unzulässig.“
In den weiteren Gründen stellte das Gericht die fahrlässige Vernachlässigung der sich aus den obigen Grundsätzen ergebenden Amtspflichten auf Seiten der AGS-Angestellten Caberta und damit die Schadensersatzpflicht der Stadt Hamburg gegenüber den klagenden Scientology Kirchen fest. Denn die Behörde hatte durch ihr Verhalten zu erkennen gegeben, dass sie nicht bereit war, gegen das rechtswidrige Verhalten ihrer Angestellten Caberta einzuschreiten. Auf die Frage, ob die Stadt Hamburg auch aus Vorsatz zur Haftung verpflichtet ist, weil sie Caberta trotz offenkundiger Befangenheit weiterhin gegen Scientology agitieren ließ – denn Caberta hatte sich im Jahre 2000 von einem US-Millionär und Scientology-Gegner mittels eines unbefristeten und zinslosen „Darlehens“ von 75.000 USD korrumpieren lassen und deshalb im Jahre 2002 im Rahmen der Einstellung ihres Strafverfahrens wegen Vorteilsnahme ein Bußgeld von 7.500 EURO an die Staatskasse zahlen müssen – kam es dann nicht mehr an.
F. STRAFRECHT
Einstellungsverfügung Staatsanwaltschaft am Landgericht Frankfurt vom 07. Okt. 1987, wegen behaupteten Verstoßes gegen das UWG/HWG, Az 92 Js 12546/85
S. 2: “ Was die Scientology Kirche betrifft, so ist diese in der Bundesrepublik Deutschland als Religionsgemeinschaft anerkannt im Sinne von Art. 4 GG, 140 GG. „
Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Berlin am Landgericht Berlin vom 28. Januar 1991, wegen behaupteten Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz, Az l Wi Js 481/89
S. 1: “In der Bundesrepublik Deutschland ist die Scientology Kirche als Religionsgemeinschaft im Sinne von Artikel 4, 140 des Grundgesetzes anerkannt. „
S. 2: “Die Scientology Kirche ist nach ihrem Selbstverständnis eine sogenannte Erlösungs-Religion. Das heißt, sie will ihre Gläubigen zu immer höheren Bewusstseinsstufen führen in der Erkenntnis der Unsterblichkeit des Menschen als geistiges Wesen. „
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Weitere Entscheidungen unter Verweis auf den Schutzanspruch der Scientology Kirche aus der grundgesetzlich gewährten Religionsfreiheit in Art. 4 GG erstritt die Scientology Kirche Berlin im Jahre 2009. Das örtliche Bezirksamt hatte auf dem Gehweg vor dem Haupteingang der Berliner Kirche über Nacht eine Litfasssäule mit einem symbolisierten Stoppschild samt Verruf von Scientology aufgestellt, um ein Aufsuchen und Betreten der Scientology Kirche durch Passanten zu verhindern. Am 27.2.2009 ordnete das VG Berlin (Az. VG 27 L 41.09) auf Antrag der örtlichen Kirche unter Verweis auf Art. 4 GG und das staatliche Neutralitätsgebot in religiösen Belangen die Entfernung der aufgestellten Litfasssäule an. Die Entscheidung wurde vom Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg am 9.7.2009 bestätigt (Az. OVG 5 S 5.09).
Diese Sammlung von Anerkennungen ausländischer Behörden und Gerichte wie auch deutscher Gerichte zur Frage der Religionseigenschaft wird fortgeführt und bleibt weiteren Änderungen und Ergänzungen vorbehalten.
München, im Juli 2010