Scientology gewinnt vor Verwaltungsgericht Berlin



NACH VERFASSUNGSSCHUTZ-SKANDALEN STOPPEN RICHTER ANWERBUNG UND AUSSPÄHUNG DURCH BEZAHLTE SPITZEL

(BERLIN/MÜNCHEN) In der Auseinandersetzung um Praktiken des früheren Berliner Landesamts für Verfassungsschutz – die in den letzten Jahren wiederholt bundesweit für Schlagzeilen sorgten – hat die Scientology Kirche Berlin e.V. nach drei Jahren jetzt einen bedeutenden rechtlichen Erfolg errungen.  In einem am Donnerstag verkündeten Urteil untersagte das Verwaltungsgericht Berlin dem im Innensenat angesiedelten Verfassungsschutz weiter durch die Anwerbung und Ausspähung mit bezahlten Spitzeln gegen Scientology vorzugehen. Helmuth Blöbaum, Präsident der Scientology Kirche Deutschland e.V. (Sitz München) begrüßte das Urteil als „wichtigen Schritt zur Stärkung demokratischer Grundrechte in unserem Land. Unsere Mitglieder sind jetzt vor Ausspitzelung und `Judaslohn-Angeboten` sicher.  Die Verfassungsschutz-Beobachtung diente von Anfang nur Diskriminierungszwecken und das Urteil ist ein Meilenstein, um sie zu beenden. Der heutige Richterspruch sollte aber auch allen Beteiligten zeigen, wie wichtig ein Dialog ist, um Vorurteile und falsche Vorstellungen auszuräumen.“

Die im Juli 1998 eingereichte Klage ist bisher in Deutschland einmalig in ihrer Art. Die Scientologen warfen in ihrer Klage den Verfassungsschützern eklatante Grundrechtsverletzungen vor.  Hintergrund des Verfahrens war die von einem Anonymus behauptete Scientology-Mitgliedschaft des leitenden Berliner Polizeibeamten Otto D., die vom Berliner Landesamt für Verfassungsschutz Ende März 98 unter Hinweis auf „geheimdienstliche Mittel“ in einem einzeiligen „Behördenzeugnis“ bestätigt wurde.

Quelle war nach Presseberichten ein geheimnisvoller V-Mann, der in die Berliner Scientology Kirche eingeschleust worden war und später als höchst dubioser Ex-Stasi-Spitzel enttarnt wurde. Weitere skandalöse Praktiken von Verfassungsschutzagenten kamen ans Licht, als sie versuchten, einen Teilzeitmitarbeiter der Berliner Scientology Kirche als informationellen Mitarbeiter anzuwerben und ihm 5.300 Mark in bar unter anderem für Beweise über eine Scientology-Mitgliedschaft des Polizeidirektors Otto D. übergaben. Letztlich führten die Skandale zur Auflösung des Berliner Landesamts für Verfassungsschutz als eigenständige Behörde.

In der Klage beantragten die Münchner Anwälte der Scientologen: „Das beklagte Land hat es zu unterlassen, Mitarbeiter oder Mitglieder des Klägers durch die Gewährung oder das Versprechen von Geldzahlungen oder sonstigen vermögenswerten Vorteilen zu bestimmen, Daten oder Informationen betreffend den Kläger und/ oder seine Mitglieder im Verfügungsbereich des Klägers auszuspähen und zu sammeln und dem beklagten Land zu übergeben oder in sonstiger Weise zugänglich zu machen.“

Mit der Klage wurde juristisches Neuland betreten. Die Verfassungsschützer gerieten damit unvermittelt selbst ins Visier einer richterlichen Überprüfung rechtsstaatlich bedenklicher Praktiken. In der Klagebegründung ging es den Scientology-Anwälten um ganz wesentliche Grundrechte, die durch das Anwerben von bezahlten Spitzeln gefährdet würden. Wie weit gehen hier die Befugnisse der Geheimdienstler in einem demokratischen Rechtsstaat?

Weiter argumentierten die Anwälte: Eine Beobachtung von Scientology falle nicht in den Aufgabenbereich des Landesamtes für Verfassungsschutz, da das Landesverfassungsschutzgesetz grundsätzlich keine Möglichkeit einer Beobachtung religiöser Gemeinschaften eröffne und Scientology auch keine „politischen Bestrebungen“ verfolge.

Besonders eingehend wurde in der Klagebegründung die Anwerbung von bezahlten Spitzeln, sogenannten V-Männern, durch Verfassungsschutzbehörden aufs Korn genommen. „Nachrichtendienstliche Mittel dürfen nur im Rahmen der geltenden Rechtsordnung angewandt werden.“ Durch bezahlte Spitzel würden aber vielfach strafrechtliche Grenzen gesprengt, da V-Männer zum Hausfriedensbruch, Ausspähen von Daten, Diebstahl, Unterschlagung und Betrug auf der Basis eines Erfolgshonorars animiert würden. Verfassungsschutzämter würden so ihnen gesetzlich strikt untersagte polizeiliche Aufgaben unkontrollierten Leuten übertragen. Diese würden dann sozusagen „private Hausdurchsuchungen“ durchführen und Menschen durch ungezügeltes Ausspähen persönlicher Daten ihrer informationellen Selbstbestimmung berauben und dann staatlichen Diskriminierungsmaßnahmen aussetzen.

„In der Klage“, so ein Scientology-Sprecher, „ging es nicht um graue Theorie und juristische Spiegelfechterei. Der Fall des Berliner Polizeidirektors Otto D. und die Verfassungsschutz-Anwerbeversuche und -Zahlungen an ein Scientology-Mitglied zur nachträglichen Beweisbeschaffung belegten mit geradezu erschreckender Realität, daß hier Grundrechte auf dem Spiel stehen. Diese Rechte konnten wir mit Hilfe des Gerichts und im Interesse demokratischer Grundsätze schützen. Hier ging es nicht um Terrorismusjagd, der Rechtsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit für staatliches Handeln wurde eklatant verletzt.“